In was für einer Krise leben und kämpfen wir?

Posted on 8. Februar 2013 von

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crivon Jens Kany

Bei der aktuellen Krise handle es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Übergangs- oder Große Krise. Diese Einschätzung wird in der Politischen Resolution des 19. Parteitags getroffen. Fast wortgleich findet sich die Formulierung auch im Antrag des Parteivorstands an den 20. Parteitag Antworten der DKP auf die Krise. Doch welchen analytischen Wert hat diese Feststellung und welche praktischen Folgen ergeben sich daraus? Zu diesen Fragen fand bislang keine innerparteiliche Diskussion statt. Eine breite Diskussion zum besseren Verständnis der Krise ist aber notwendig, wollen wir angemessen und effektiv handeln. Nachfolgend wird argumentiert, dass sich das Konzept der Übergangs- oder Großen Krise nicht eignet, die aktuellen Erscheinungen auf ihren Begriff zu bringen.

Mit dem Begriff der Übergangs- oder Großen Krise soll ausgedrückt werden, „dass grundlegendere Umbrüche in den gesellschaftlichen Verhältnissen – den Formen der Produktion, der Machtausübung des Kapitals, im Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit, im internationalen Kräfteverhältnis usw. – zu erwarten sind“ (1). Um diese grundlegenden Umbrüche begrifflich erfassen zu können, genüge der klassische marxistische Krisenbegriff nicht mehr. Doch ist diese Annahme korrekt? Brauchen wir wirklich eine neue Krisenkonzeption um die aktuellen Erscheinungen auf ihren Begriff zu bringen? Gehen wir der Sache auf den Grund.

Jede Krise ist eine „Übergangskrise“

1. In einer („normalen“) kapitalistischen Krise äußern sich die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise in historisch adäquaten Erscheinungen ihrem Wesen nach als Überproduktionskrise. Die zugrunde liegenden gesetzmäßigen Widersprüche sind vor allem in den drei Bänden des Marxschen Kapitals wissenschaftlich dargelegt worden.

Sollte sich eine Übergangs- oder Große Krise wesentlich von einer solchen „normalen“ kapitalistischen Krise unterscheiden, so würde dies bedeuten, dass ihr neuartige Gesetze und Widersprüche zugrunde liegen müssten, die im Marxschen Kapital nicht zu finden sind. Denn andernfalls wäre der Unterschied unwesentlich, d.h. nur in der Erscheinung. Ist dies der Fall? Bisher liegt keine wissenschaftliche Ausarbeitung dieser potentiell neuen Gesetze und Widersprüche vor. D.h. der Begriff der Übergangs- oder Großen Krise ist bis dato wissenschaftlich unbegründet.

2. Dass es sich bei der gegenwärtigen Krise um eine Übergangskrise handelt, ist keine Besonderheit, sondern allgemeines Merkmal jeder kapitalistischen Krise. Jede zyklische Krise ist eine Übergangskrise! Zunächst stellt jede zyklische Krise einen Übergang von einem Umschlagszyklus in den nächsten dar. „Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Überproduktion, Krise und Stagnation“ (2). Damit sind die Phasen genannt, die im Zuge eines Umschlagszyklus durchlaufen werden. Ist ein Zyklus zu Ende, findet ein Übergang zu einem neuen Zyklus statt. Des Weiteren bildet jede Krise „immer den Ausgangspunkt einer großen Neuanlage. Also auch – auf die ganze Gesellschaft bezogen – mehr oder minder eine neue materielle Grundlage für den nächsten Umschlagszyklus“ (3). Die Krise generiert einen qualitativen Sprung in der Produktivkraftentwicklung, sie ist Motor der Revolution der Produktivkräfte. Daher bedeutet Krise immer zugleich den Übergang eines Produktivkraftregimes in ein anderes. Drittens bewirkt die Krise nicht nur an der ökonomischen Basis einen Übergang. Aus dem Grundsatz des historischen Materialismus, dass die Basis stets den Überbau bestimmt, folgt notwendig, dass jede krisenhafte Erschütterung der ökonomischen Basis eine Umwälzung des politisch-rechtlichen und kulturellen Überbaus zur Folge hat. Da also jede zyklische Krise in mehrfacher Hinsicht eine Übergangskrise darstellt, ist die Feststellung, dass es sich bei der gegenwärtigen Krise um eine „Übergangskrise“ handelt, eine Tautologie.

Allgemeine Krise des Kapitalismus

3. Bei der aktuellen Krise soll es sich nicht nur um eine Übergangskrise handeln, sondern um eine Große Krise, d.h. die aktuelle Krise und ihre Folgen seien größer und umfassender, als dies bei „normalen“ zyklischen Krisen der Fall wäre. Dies ist zwar richtig, wer aber bei einer solchen oberflächlichen Betrachtung der Größe stehen bleibt, übersieht das Wesentliche. Die besondere Größe der Krise ist nichts als der historische Ausdruck einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit. Diese lässt sich wissenschaftlich auf den Begriff der allgemeinen Krise des Kapitalismus bringen. Die Verfallserscheinungen des Imperialismus, sein Verfaulungsprozess erreichen gegenwärtig eine neue, historische Stufe. Dieses wesentliche Moment der Krise wird übersehen, wenn der Blick bloß staunend an der empirischen Mannigfaltigkeit hängen bleibt, ohne diese wissenschaftlich auf ihren Begriff zu bringen.

Wir sehen also, dass der Begriff der Übergangs- oder Großen Krise erstens wissenschaftlich unbegründet, zweitens nichtssagend und drittens oberflächlich ist. Er eignet sich nicht, die aktuelle Krise wissenschaftlich zu erfassen und ihr angemessen zu antworten! Die strategische Ausrichtung der DKP muss am Wesen der Krise orientiert sein und nicht an ihren Erscheinungen. Denn nur, wer das Wesen einer kapitalistischen Krise in den Gesetzen der Produktionsweise findet, erkennt die Notwendigkeit der Revolution. Der Begriff der Übergangs- oder Großen Krise erhellt dagegen nur die erscheinende Oberfläche und ist daher Keimzelle reformistischer Illusionen.

Krise des Neoliberalismus?

Dies wird besonders an Leo Mayers Äußerungen deutlich. Dieser bezieht sich auf Gramscis Konzept der organischen Krise und setzt dieses mit dem der Übergangs-oder Großen Krise gleich (4). Als organische Krise wird eine „Hegemoniekrise der herrschenden Klasse“ bezeichnet (5). Diese Hegemoniekrise der herrschenden Klasse äußere sich in der aktuellen Situation als Krise des Neoliberalismus. Der Begriff der Übergangs- oder Großen Krise bezieht sich also ausdrücklich nicht auf gesetzmäßige Widersprüche an der ökonomischen Basis, sondern auf Legitimationsprobleme im politischen Überbau (6). Die gegenwärtige Krise aber aus dem Überbau heraus zu erklären, hat fatale politische Folgen. Denn dann läge ihre Lösung in einer bloßen Umgestaltung des Überbaus, in einem „Politikwechsel“, der Bildung einer „Linksregierung“, der „sozialen“ Transformation der EU usw. Damit werden die eigentlichen Ursachen der Krise, die Widersprüche in der kapitalistischen Produktion und Zirkulation in den Hintergrund verbannt und die Lösung der Krise – Revolution – ausgeblendet. Im Zentrum des Kampfes steht dann nicht mehr die Abschaffung des Kapitalismus, sondern die Abschaffung des neoliberalen Überbaus. Doch mit dessen Abschaffung (und der Etablierung eines neuen, bürgerlichen Überbaus) ist die Krise nicht gelöst; vielmehr wird lediglich die nächste Krise vorbereitet.

Die Autoren des isw verwenden Begriffe, die nicht dem Marxismus-Leninismus entspringen, ohne zu sagen, warum sie diese für falsch halten bzw. warum sie eine andere Begrifflichkeit wählen. Anstatt uns an ihre substanzlose Floskel zu klammern, sollten wir die Krise besser auf der wissenschaftlichen Grundlage der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus erforschen.

Quellen und Anmerkungen:

  1. http://www.dkp-online.de/Parteitage/19pt/

  2. MEW 23: 476

  3. MEW 24: 186

  4. Referat für das Seminar “Die marxistische Krisentheorie und die gegenwärtige Finanzkrise im Kapitalismus”, Karl-Liebknecht-Schule der DKP, 11./12. Februar 2012 – „Organische Krise (Übergangskrise, Transformationskrise, Große Krise)“, Leo Mayer

  5. Gramsci: Gefängnishefte Bd.7, S. 1577

  6. Der Neoliberalismus ist eine politische Ideologie, d.h. dem Überbau zuzurechnen, nicht der Basis. Völlig richtig heißt es im Parteiprogramm: „Der Neoliberalismus ist die Ideologie und Politik, mit der die Umwälzung der Arbeits- und Lebensweise, der Produktionsverhältnisse vorangetrieben wird, um diese dem neuen Stand der Produktivkräfte unter kapitalistischen Bedingungen anzupassen und dem Kapital verbesserte Verwertungsbedingungen zu verschaffen“. (S.12)