Über den Auf- und Abstieg der Pegida- Bewegung ist viel geschrieben worden. In den von T&P online gestellten Artikeln „Rettung des Abendlandes? – Ohne uns!“ von der SDAJ [1] und „Deutsche Zitronen. Wie Pegida den Abendland-Fundamentalismus auf den Punkt bringt“ von Hans-Christoph Stoodt [2] wird die Pegida-Ideologie in ihren einzelnen Bestandteilen (Szialdemagogie, Antimuslimischer Rassismus, Nationalismus) und ihrem Zusammenwirken mit sozialer Unsicherheit und Abstiegsängsten von Teilen der Arbeiterklasse und kleinbürgerlicher Schichten analysiert. Beide Artikel betonen die Nützlichkeit von Pegida für das Kapital und die Verwuzelung der Bewegung in bestimmten Fraktionen des deutschen Kapitals. Daraus schlussfolgernd plädieren sie für einen Gegenprotest, der eben diese Herrschenden als Verantwortliche für Arbeitsplatzverlust und fehlende Perspektiven benennt, um den weiteren Zulauf zu Pegida zu stoppen. Angesichts von Massenprotesten gegen Pegida in fast allen großen Städten, bei denen in einigen Städten die Teilnehmerzahlen die 20.000er Marke knackten, ist es Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Wurde die drohende Rechtsverschiebung des politischen Klimas in der Bundesrepublik gestoppt? Konnten Antifaschisten an Boden gewinnen? Konnte der weiteren Spaltung der Arbeiterklasse anhand von nationalen und religiösen Linien Einhalt geboten werden?
Zunächst ist die Beteiligung von Gewerkschaften und gewerkschaftsnahen „Gegen-Rechts“-Bündnissen an
den Großkundgebungen sowie die schiere Zahl der Gegendemonstranten (in der ersten Januarhälfte deutschlandweit pro Woche über 100.000) ein deutliches Anzeichen dafür, dass sich größere Teile der Bevölkerung gegen Pegida & Co. gewandt haben. Für mehrere Wochen wurden Pegida und NoPegida zum vorherrschenden Thema in Kantinen und Pausenräumen. Auf gewerkschaftlichen Ver- trauensleute-Sitzungen wurden Diskussionen geführt, die in Anti- Pegida-Mobilisierungen aus den Betrieben mündeten. Ein Ausweiten von Dresden auf andere Städte konnte eingedämmt werden, wenngleich der besonders reaktionäre politische Nährboden in Sachsen eine zentrale Rolle beim Ost-West-Unterschied von Pegi- da spielte. Die Funktion von Pegida als Testballon für eine kurzfristige massive Rechtsverschiebung im bürgerlichen Politikspektrum ist somit vorerst gescheitert.
Doch bereits der Wahlerfolg der AfD bei der Hamburger Bürgerschaftswahl zeigt, wie brüchig dieser Damm ist, der in den Anti-Pegida- Protesten errichtet worden ist. Die in den Gegenprotesten vorherrschenden Inhalte und Slogans bestätigen dies ebenfalls. Zwar ist die Wirksamkeit von bürgerlich-demokratischen Werten wie „Weltoffenheit“ und „Toleranz“ bei der Mobilisierung nicht zu unterschätzen. Genauso wie die Solidarität mit Migranten und Flüchtlingen, die wortwörtlich zur Zielscheibe von Pegida werden. Die weitgehende Ausblendung der sozialen Frage aus den Gegenprotesten rächt sich aber spätestens dann, wenn die Sozialdemagogie von Pegida bzw. ähnlich ausgerichteter künftiger Bewegungen dezidierter und ausgefeilter vorgetragen wird. Es besteht die Gefahr, dass rechte Parteien und Bewegungen künftig viel stärker als „Anwälte der kleinen Leute“ auftreten und so auch wahrgenommen werden. Im gleichen Zug besteht dann auch die Gefahr, dass die einträchtig mit Ministerpräsidenten und SPD-Prominenz auf der Bühne stehenden DGB-Gewerkschaf- ten als Teil des – aus verschiedensten Gründen – verhassten „Polit-Establish- ments“ wahrgenommen werden. Damit soll nicht der Wert der „Bunt statt Braun“-Bündnisse geschmälert werden. Ihre Wirksamkeit gegen Rechts hängt aber eben auch davon ab, inwiefern es gelingt, die Teile der Arbeiterklasse zu gewinnen, die für die diffus soziale Rhetorik der Pegida-Redner anfällig ist.
Vereinnahmung der Gegenproteste
Die Interviews mit Pegida-Teilneh- mern aus Dresden zeigen, dass es eben die Verbindung rassistischer Ressentiments mit der Angst um Rente und Arbeitsplatz ist, die Zehntausende in die Arme von Pegida trieb. Die No- Pegida-Kundgebungen hätten dafür genutzt werden müssen, ein deutliches Zeichen gegen Lohndumping und Rentenklau von Bundesregierung und Konzernen zu setzen. Diese Chance wurde von den Gewerkschaften weitgehend vertan.
Daniel Bratanovic ist mit Einschränkungen zuzustimmen, wenn er im Berliner Anstoß schreibt: „Schon gar nicht darf der Fehler gemacht werden, sich an einem erneuten ,Auf- stand der Anständigen‘ zu beteiligen, um so zum Parteigänger dieser Republik und ihrer Eliten zu werden“ [3]. Die Beteiligung an den bisweilen staatstragenden Kundgebungen ist allerdings deswegen notwendig, um unter den Teilnehmern für Positionen zu werben, die die Verantwortung der Herrschenden benennt (DKP: „Wer Rassismus, Krieg, Sozial- und Demokratieabbau sät, erntet Pegida“).
Vorerst ist aber die Instrumentalisierung und Vereinnahmung der Anti- Pegida-Proteste durch SPD und Grüne geglückt. Dass dies aus Sicht der SPD nicht nur aus Gründen des Wählerfangs nötig ist, zeigt eine Studie des Parteienforschers Franz Walter aus Göttingen: Die Teilnehmer der NoPegida-Kund- gebungen plädierten „prononciert für Gleichstellung, Solidarität und Umverteilung.“ Letztere Forderung werde weltanschaulich noch dadurch untermauert, „dass die NoPegida-Befür- worter ihr größtes Misstrauen gegen Großkonzerne und Banken bekunden und der freien Marktwirtschaft (zu 97 Prozent) keine größere Relevanz mehr zumessen mögen“ [4]. Mit Hilfe des politischen Konsenses „alle zusammen gegen Rechts“ (der ja für uns eben auch nützlich war, weil er eine massenhafte Mobilisierung ermöglichte) wird versucht, eine linke, antifaschistische, gewerkschaftliche Opposition gegen die große Koalition gar nicht erst aufkommen zu lassen, sondern in für die Herrschenden harmlose Bahnen zu lenken.
Den Rassisten den Resonanzboden nehmen
Es bleibt ein Spagat zwischen breitem Bündnis bis weit ins bürgerliche Lager hinein und notwendigem Kampf gegen die große Koalition (schon allein wegen ihrer Verantwortung für die Entstehung von Pegida und ihre nachträgliche Legitimierung durch Gabriel und Sachsens Innenminister Ulbig). Es bleibt aber auch für alle klassenorientierten Kräfte ein Spagat zwischen notwendiger Teilnahme an gewerkschaftlichen Kundgebungen – oft weitab vom Geschehen – und an Blockaden der rassistischen Aufmärsche. Die tausenden Blockierer, die Montag für Montag den Knüppeln und Pfefferspray-Attacken der Polizei trotzten, haben zumindest im Westen der Republik entscheidend dazu beigetragen, dass meist nur mehrere Dutzend Nazis eingekesselte Kundgebungen durchführen konnten. Bei Größenordnungen von über 15.000 Pegida-Demonstranten wie in Dresden kommt das Mittel der Blockade allerdings an eine Grenze. Umso dringender wird es, mit konsequentem Sozialprotest gegen die Herrschenden den Zulauf zu Pegida & Co. zu stoppen.
Vorerst scheint die Straßenpräsenz von Pegida an ein Ende zu gelangen. Der politische Schwung wird vom gesamten rechtspopulistischen Spektrum inklusive der AfD genutzt werden, um in weitere Landesparlamente einzuziehen. Damit öffnet sich die Option einer Veränderung des bürgerlichen Parteienspektrums nach Rechts. Die Gefahr einer nächsten Pegida-Welle bleibt akut. Es bleibt unsere Aufgabe, innerhalb der Gegenkräfte eine Debatte um die Ursachen von Pegida und die nötige Gegenagitation und Gegenaktion zu führen.
Quellen und Anmerkungen:
[1] https://theoriepraxis.wordpress.com/2015/01/12/rettung-des-abendlandes-ohne-uns/
[2] https://theoriepraxis.wordpress.com/2015/01/12/deutsche-zitronen-wie-pegida-den-abendland-fundamentalismus-auf-den-punkt-bringt/
[3] http://anstoss.dkp-berlin.info/2015_02.pdf
[4] http://www.demokratie-goettingen.de/blog/studie-zu-nopegida
Posted on 31. März 2015 von BBr