von Jürgen Lloyd
Ulrich Schneider, Generalsekretär der Federation Internationale des Resistants (FIR) und Bundessprecher der VVN-BdA, hat im letzten Jahr in der verdienstvollen Basiswissen-Reihe bei PapyRossa einen Band zum Antifaschismus veröffentlicht [1]. Auf 130 Seiten gibt er dort eine Übersicht über den Begriff und die Geschichte des Antifaschismus in Deutschland.
Es ist schon bemerkenswert, dass es eine lange Geschichte der Auseinandersetzung um den Begriff des Faschismus gibt, eine vergleichsweise Beschäftigung mit dem Antifaschismus aber nicht erfolgt ist. Unter Berufung auf Abendroth und Kühnl versteht Schneider unter Faschismus eine Form bürgerlicher Herrschaft und betont, dass der Faschismus die Eigentumsverhältnisse und ökonomischen Grundlagen des Kapitalismus nie in Frage gestellt hat.
Er kommt auf Basis dieser Position zu einer Reihe wichtiger Einschätzungen auch für den Charakter des Antifaschismus. Explizit fordert Schneider, dass die antifaschistische Bewegung sich praktisch einsetzen müsse gegen soziale Ausgrenzung und Ungleichheiten und für die demokratischen und sozialen Rechte und Freiheiten als Voraussetzung für reale – nicht nur formale – gesellschaftliche Partizipation. Eine konsequent aus dem marxistischen Faschismus-Verständnis hergeleitete Bestimmung, was Antifaschismus sein müsse, gelingt Schneider jedoch nicht. Die Ursache hierfür – und damit auch das Feld, auf dem diese Lücke zu schließen sein wird – liegt in der mangelnden Analyse der Entstehungsgründe und -bedingungen des Faschismus. So erfreulich es auch ist, dass Schneider betont, zum Faschismus gehöre „originär eine chauvinistische und imperialistische Orientierung“, bleibt damit dennoch der innere Zusammenhang zwischen Faschismus und Imperialismus ungeklärt. Der Imperialismus erscheint als eine politische Orientierung, die den Faschismus zwar stets begleitet, aber eben lediglich äußerlich als Attribut den Faschismus charakterisiert. Nicht verstanden wird die Bedeutung des Imperialismus als Entstehungsbedingung von Faschismus.
Antiimperialismus und Antifaschismus gehören zusammen
Dieser Hinweis ist keine theoretische Spitzfindigkeit, sondern zielt auf die praktischen Konsequenzen für den Antifaschismus. In der Linie des ersten Ansatzes liegt eine Orientierung auf die Bekämpfung von den Faschismus befördernden Einstellungen, von „Anknüpfungspunkten für gesellschaftliche Ausgrenzung“ und „diskriminierenden gesellschaftlichen Feindbildern“. Die zweite Linie eröffnet den Blick auf den Kampf gegen den Imperialismus als unverzichtbaren integralen Bestandteil des Antifaschismus. Die Analyse dieser Zusammenhänge weiterzutreiben und für unsere antifaschistische Strategie nutzbar zu machen bleibt eine Aufgabe, die uns durch Schneiders Schrift noch nicht abgenommen wurde.
Diese Einschätzung ändert nichts daran, dass der Band nützlich und empfehlenswert ist. Schneider ist eine gute Zusammenfassung der Entwicklung der antifaschistischen Bewegung in Deutschland gelungen. Unterteilt in drei Etappen – 1923-1945, 1945-1989 und 1990 bis in die Gegenwart – schildert er die wesentlichen Stränge des antifaschistischen Kampfes. Bereits im Sommer 1923 – also nur wenige Monate nach dem „Marsch auf Rom“ der italienischen Faschisten unter Mussolini und noch drei Monate vor dem „Hitler-Ludendorff-Putsch“ – mobilisierte die KPD zu einem als Massenveranstaltung mit Einheitsfrontcharakter angelegten Antifaschistentag. Schneider zitiert aus dem Aufruf zum Antifaschistentag, einem der ersten Schritte der antifaschistischen Bewegung in Deutschland: „Wir fordern euch auf: Errichtet zusammen mit den Kommunisten die gemeinsame Front der Not und der Arbeit gegen die Prasser, Spekulanten und Ausbeuter! […] Nur wenn ihr das versteht, wenn ihr euch mit der Arbeiterklasse verbindet, anstatt euch gegen sie ausnützen zu lassen, dann wird der verheerende Bürgerkrieg in Deutschland vermieden werden.“ Der Begriff des Antifaschismus entstand also als „Gegenbegriff zur politischen Rechtsentwicklung in Deutschland“ und hatte eine eindeutig „klassenkämpferische Konnotation“, so Schneider.
Schon 1923 wurde von der KPD die Gewinnung breiter Massen angepeilt und Antifaschismus damit „als soziale Bündnispolitik gegen das große Kapital“ (S. 16) verstanden. Erfreulich ausführlich angesichts der begrenzten Seitenzahl dieses Bandes wird nicht nur die Entwicklung der KPD, sondern auch der Sozialdemokratie und linksbürgerlicher Antifaschisten in der Endzeit der Weimarer Republik nachgezeichnet.
Es folgt die Darstellung, wie unter den geänderten Bedingungen der faschistischen Diktatur der Antifaschismus sich zum Kampf für den Sturz der faschistischen Diktatur und schließlich für die Niederlage Hitler-Deutschlands im Krieg entwickeln musste.
„Antifaschismus ist mehr als eine Gegenbewegung“
Die Schilderung der Nachkriegszeit beginnt konsequent mit dem Schwur von Buchenwald und den in den Konferenzen von Jalta und Potsdam gegebenen Richtlinien für die Befreiung Deutschlands vom Faschismus, die sich an den „großen D“s orientierten: Demilitarisierung, Denazifizierung, Demonopolisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung. Schneider fügt diesen Punkten gemäß den Vorstellungen der Antifaschisten noch das Sozialstaatsprinzip, Völkerverständigung und antifaschistische Einheit hinzu.
Es folgt eine Beschreibung der Geschichte der VVN, die sich sehr bald als Vertretung dieser Prinzipien bewähren musste. In den westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepublik musste die VVN – und dies darzustellen ist eines der Verdienste des Bandes – aus ihrem antifaschistischen Grundverständnis heraus und nicht etwa auf Grund kommunistischer Beeinflussung in zentralen Streitfragen die KPD und später die DKP als ihre wichtigsten Mitstreiterinnen betrachten: Der Kampf gegen die Spaltung Deutschlands, gegen die Renazifizierung unter Adenauer und Globke, gegen die Remilitarisierung, später gegen die Notstandsgesetze, gegen Berufsverbote und in der Friedensbewegung ergaben sich aus dem Verständnis, als Antifaschisten mit der Orientierung von Buchenwald und Potsdam diese Positionen einnehmen zu müssen.
Delegitimierung der DDR = Angriff gegen die Linke insgesamt
Das Ende der DDR, deren antifaschistische Grundlagen und Organisationen von Schneider in einem kurzen Exkurs gewürdigt werden, wird zu Recht als Bruch auch für den Antifaschismus in der Bundesrepublik beschrieben. Aus der umfangreich betriebenen Kampagne zur Delegitimierung der DDR entsteht ein Angriff auf den Antifaschismus als vorgebliche Legitimationsideologie. Als Antwort hierauf entwickelten sich eine verstärkte Geschichts- und Erinnerungsarbeit auf der einen Seite und der Kampf gegen die rassistischen Angriffe auf Asylbewerber und gegen Aufmärsche und Provokationen aktionsorientierter Neofaschisten auf der anderen Seite.
Schneider erklärt, dass der Angriff auf den Antifaschismus nicht nur gegen die DDR gerichtet ist, sondern gegen die bundesdeutsche Linke insgesamt. Der innere Zusammenhang zwischen dem (in Folge der und durch die Einverleibung der DDR erfolgten) Vormarsch des deutschen Imperialismus und den Aufgaben des Antifaschismus wird von Schneider jedoch nicht thematisiert. Der Band reproduziert mit dieser Leerstelle eine ideologische und praktische Schwäche des Antifaschismus in Deutschland. Das Unverständnis gegenüber diesem Zusammenhang setzt der Wirksamkeit des Antifaschismus Grenzen. Mehr noch: Es macht ihn auch instrumentalisierbar für die Herrschaftspraxis des Imperialismus selber, wie dies z. B. von „antideutschen“ Kriegs- und Sozialabbaupropagandisten vorexerziert wird.
Es bleibt unsere Aufgabe, Antifaschismus und Antiimperialismus als notwendige Einheit zu begreifen und eine dementsprechende politische Praxis zu entwickeln. Das Antifaschismus-Buch von Ulrich Schneider bietet mit seinem Blick auf die geschichtliche Entwicklung des Antifaschismus in Deutschland dafür eine wertvolle Materialsammlung. Mit unserem Verständnis von Faschismus als Form monopolkapitalistischer Klassenherrschaft besitzen wir den Schlüssel, der genannten Aufgabe nachzukommen.
Quellen und Anmerkungen:
[1] Ulrich Schneider, Antifaschismus, PapyRossa Verlag, Köln 2014
Posted on 10. April 2015 von BBr