Zum Beispiel Slawjansk

Posted on 5. Juli 2016 von


Antifaschistischer Widerstand und gesellschaftliche Entwicklung im Donbass

donbassvon Swetlana Ebert *

Es ist der 11. Mai 2016 – der Tag der Republik, der zweite Geburtstag der Donezker Volksrepublik im Donbass. Unüberschaubar viele Menschen ziehen in riesigen Kolonnen durch die Straßen der Hauptstadt des international (noch) nicht anerkannten Landes, nach Regionen und Städten geordnet. Die  Demonstrationszüge tragen Transparente mit deren Namen: Gorlowka, Telmanowo, Dokutschajewsk, Makejewka und anderen. Festlich gekleidete Menschen, die Luftballons in den Farben der Republik, Friedenstauben, Staatsflaggen und rote Fahnen tragen, begrüßen einander mit Hurra-Rufen, während sie an der Tribüne mit dem Staatsoberhaupt der jungen Republik vorbei ziehen. In einer der Marschkolonnen, in der die roten Fahnen überwiegen, ist ein Schild mit dem Städtenamen „Slawjansk“ zu sehen. Von den Zuschauern am Straßenrand werden diese Demonstranten besonders herzlich begrüßt. Spontane Sprechchöre sind zu hören „Slawjansk – Heldenstadt“. Slawjansk, eine kleinere Stadt mit 115.000 Einwohnern vor dem Beginn des Bürgerkrieges in der Ukraine, eine Stadt mitten im Industriegebiet des Donbass, der nach der Zerschlagung der Sowjetunion im Jahr 1991 dem Staat Ukraine zugesprochen wurde, der jedoch wirtschaftlich, kulturell, sprachlich und emotional eng mit Russland verflochten blieb. Eine Stadt, deren Bewohner den Mut hatten, als erste vollkommen ungeschützt durch die russische Regierung sich den Kiewer Faschisten in den Weg zu stellen, die im Februar 2014 in der Ukraine an die Macht geputscht wurden. Eine Stadt, die dafür einen hohen Preis zahlte und bis heute immer noch zahlt [1].

Euromaidan – Antimaidan

Um die Geschehnisse in dieser Stadt zu verstehen, müssen wir auf den Beginn des Jahres 2014 zurückblicken. Im Winter 2013/14 wurde die Unzufriedenheit der ukrainischen Bevölkerung mit der damaligen Regierung Janukowitschs gezielt von den USA und den führenden EU-Staaten genutzt, um eine Protestbewegung nach dem Konzept der „Bunten Revolutionen“ zur Ausweitung ihres Einflussbereichs und zur Destabilisierung Russlands zu schaffen. Dabei bedienten sie sich vor allem der gewaltbereiten nationalistischen und z.T. offen faschistischen Gruppierungen. Das Ergebnis ist bekannt: die Inszenierung von Todesschüssen auf die Protestierenden als Angriffssignal zum gewaltsamen Sturz der Janukowitsch-Regierung. Weniger bekannt, da dies in unseren Medien völlig ausgeklammert wurde, ist die Tatsache, dass mit dem Aufbau der Euromaidan-Bewegung gleichzeitig auch eine Antimaidan-Bewegung entstand, die immer wieder Protestaktionen in Kiew organisierte. Diese Bewegung wurde zu einem großen Teil von Ukrainern aus dem Südosten des Landes getragen, die sich vor allem gegen die zunehmende Faschisierung und gegen die Russlandfeindlichkeit des Landes wandten. Es gab immer wieder blutige Überfälle auf Teilnehmer der Antimaidan-Bewegung, sowohl in Kiew selbst als auch auf dem Rückweg der Menschen von Veranstaltungen oder Aktionen. Busse wurden durch fingierte Straßensperren von faschistischen Gruppierungen gestoppt, Menschen verprügelt, verschleppt, ermordet. Von vielen fehlt auch heute noch jede Spur.

Nach dem Putsch der Kiewer Junta spitzte sich der Konflikt rasant zu. Offen wurde davon gesprochen, dass die russischsprachige Bevölkerung des Landes Menschen zweiter Klasse seien und dementsprechend behandelt werden müssten, dass der Status der Krim verändert und der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte aufgelöst werden müsse. Das Assoziierungsabkommen mit der EU und die Pläne der USA sahen vor, die Bergwerke und Industrieanlagen im Donbass zu schließen sowie die wirtschaftlichen Verflechtungen des Südostens der Ukraine mit der russischen Industrie zu zerreißen. Die Gegner dieser Entwicklung wurden umgehend zu Staatsfeinden erklärt, verhaftet und anderweitig verfolgt und schikaniert. Aufgrund des ständig wachsenden Widerstandes vor allem im Südosten der Ukraine fasste die Kiewer Putschregierung den Beschluss, diesen Teil des Landes gewaltsam zu „befrieden“.

Slawjansk im Widerstand

Am 12. April 2014 wurde die Gebietsabteilung der Polizei in der Stadt Slawjansk von Mitgliedern der kurz zuvor gegründeten „Volksmiliz des Donbass“ und anderen Bürgern der Stadt und der näheren Ortschaften besetzt, Sie forderten eine Föderalisierung der Ukraine. Dabei wurden sie vor allem von den örtlichen Strukturen der KPU und anfangs auch durch die damalige Bürgermeisterin, Nelly Stepa, unterstützt. Die örtlichen Organisationen der KPU waren im Gegensatz zur Parteiführung des Landes bereit, am aktiven Widerstand teilzunehmen. Maßgeblichen Anteil der Organisation des Widerstands hatte der Vorsitzende der Stadtorganisation der Kommunistischen Partei der Ukraine, Anatoli P. Chmelewoi, heute der 2. Sekretär der KP der DVR.

Igor Strelkow (Igor Girkin), Mitorganisator der russischen Freiwilligenbewegung und der erste Verteidigungsminister der neu gegründeten Donezker Volksrepublik, sagte später in einem Video-Interview, dass er von der Krim nach Slawjansk gerufen wurde, um den Widerstand der noch jungen Freiwilligenbewegung der Volksmiliz gegen die ukrainische Armee in dieser Stadt zu organisieren. Während in anderen Städten der Südostukraine die Aufstände blutig niedergeschlagen wurden, gelang es in Slawjansk, alle Erstürmungsversuche der Regierungstruppen abzuwehren. In der Stadt wurde eine offene Kommunalwahl durchgeführt und ein kollegiales Verwaltungsgremium geschaffen. Es wurden keine Steuern mehr an Kiew abgeführt.

Barrikaden wurden gemeinsam errichtet, da schon einen Tag später ein Angriff der ukrainischen Armee auf die Stadt durch Kiew angekündigt wurde. An Kontrollposten hielten unbewaffnete Zivilisten Wache, die die Volksmiliz im Falle eines Angriffs umgehend benachrichtigen sollten. Personelle Unterstützung erhielt die Volksmiliz in Slawjansk aus Donezk und anderen Regionen der Ukraine. Freiwillige aus Russland, die der Gewalt der Kiewer Regierung gegen Andersdenkende und dem Faschismus auf dem Vormarsch gegenüber nicht gleichgültig bleiben konnten, verstärkten die Reihen der Volksmiliz, ohne Bezahlung, mit selbst finanzierter (dürftiger) Ausrüstung, ohne finanzielle Absicherung im Verwundungs- oder Todesfall.

Auch in anderen Städten der Region gewann der bewaffnete Widerstand an Struktur. Waffen wurden in kleineren Gefechten oder bei der Besetzung von Polizei- und Geheimdienststationen erbeutet, ausgemusterte und eingelagerte Waffentechnik aus Zeiten der Sowjetunion einsatzbereit gemacht, Panzer von Denkmälern des Großen Vaterländischen Krieges geholt und repariert.

Nicht selten gingen Soldaten der Regierungstruppen mit ihrer Bewaffnung zu den Volksmilizen über. Da sich im Nachbarland Russland inzwischen viele Bürger mit der Protestbewegung des Antimaidan solidarisiert hatten, wurden verschiedene Hilfsinitiativen gegründet, die auch die Volksmiliz in Slawjansk mit dem Nötigsten an Kleidung, Schuhen und Medikamenten ausstatteten. Die russische Regierung unterstützte die Volksmilizen nicht, Strelkow hatte dies bis zum Sommer 2014 in seinen Presseerklärungen immer wieder eingefordert.

Ende April wurde die Stadt durch die ukrainische Armee in einen (noch unvollständigen) Blockadering eingeschlossen. Mehr als 10.000 ukrainische Soldaten mit schweren Waffen und Unterstützung der Luftwaffe standen gegen etwa 2.500 Volksmilizionäre mit schlechter Bewaffnung.

Auf eine Erstürmung der Stadt wurde vorübergehend verzichtet, da zum einen die ukrainische Armee für den Straßenkampf schlecht vorbereitet war, zum anderen die russische Armee mit einem Manöver in der Nähe der ukrainisch-russischen Grenze begann. Da jedoch Slawjansk zunächst die einzige Stadt war, die sich vollständig unter Kontrolle der Antimaidaner befand, fokussierten sich die Kiewer Machthaber besonders auf die Liquidierung dieses „Brennpunktes“ und begannen am 02. Mai einen Großangriff. Auch dieser konnte von Volksmiliz und unbewaffneten Bürgern, die sich aufopfernd  als „lebendes Schild“ an den Zufahrtsstraßen aufstellten, zurückgeschlagen werden.

Als nach dem Massaker in Odessa am 02. Mai jedem klar wurde, mit welcher Grausamkeit die Kiewer Junta Protestierende bestraft, erhielten die Selbstverteidiger im Donbass große Unterstützung durch Freiwillige aus Russland, weiteren ehemaligen Sowjetrepubliken und  aus anderen Staaten der Welt. Auch nach Slawjansk, das inzwischen wegen des heldenhaften Widerstands und der Blockade mit Leningrad verglichen wurde und den Beinamen „Heldenstadt“ erhielt, kamen viele kampfbereite Freiwillige, die jedoch nur unzureichend mit Waffen versorgt werden konnten.

Die ukrainische Armee änderte aufgrund der erlittenen Verluste ihre Taktik und begann mit dem Beschuss der Stadt aus schwerer Artillerie. Die Verluste unter der Zivilbevölkerung wuchsen, viele Gebäude und die Infrastruktur wurden zerstört. Bald gab es weder Wasser noch Strom. Die Möglichkeiten zum elektronischen Informationsaustausch brachen zusammen.

Anatoli Chmelewoi, der von Igor Strelkow mit der Versorgung der Bevölkerung beauftragt war, organisierte deshalb zweimal wöchentlich eine Veranstaltung auf dem zentralen Platz der Stadt vor dem Lenindenkmal, auf der er persönlich die Bevölkerung über alles Wichtige informierte, Rede und Antwort stand. Nicht nur einmal hielt er die engagiertesten Frauen der Stadt davon ab, sich unbewaffnet den Angreifern entgegenzustellen.

Durch den massiven Artilleriebeschuss wurden die Vororte der Stadt und wichtige Versorgungsindustrie, wie z.  B. die Brotfabrik, dem Erdboden gleichgemacht, z.T. unter Einsatz verbotener Munition. Bis zum 04. Juli leistete Slawjansk der ukrainischen Armee Widerstand. Doch durch die Blockade und den andauernden Beschuss waren die Strukturen der Stadt und der Volksmiliz so schwach, dass sie vernichtet worden wären, hätte nicht Igor Strelkow in einer Aktion in der Nacht zum 05. Juli 2014 seine Kämpfer, Aktivisten des Slawjansker Antimaidan und Organisatoren des Referendums und deren Familien sowie die verbliebenen Waffen aus der belagerten Stadt geführt. Im Slawjansker Stadtkomitee der Kommunisten beriet man, wer mit der Volksmiliz nach Donezk gehen und wer den Widerstand und die Partisanenarbeit unter den Bedingungen der Okkupation organisieren sollte.

Bis heute ist Slawjansk von der Kiewer Junta besetzt. Auf die Anhänger des Widerstands ließ die Regierung eine regelrechte Hetzjagd los, mit Drohungen, Folter, Verschleppung von Familienmitgliedern, mit überall aufgestellten Briefkästen für anonyme Denunzierungen, mit Gehirnwäsche in den Schulen und Bildungseinrichtungen, mit der Zwangsdeportation von Einwohnern und der Ansiedlung von regierungstreuen Nationalisten.

Trotzdem konnte der Widerstand der Bevölkerung nicht gänzlich gebrochen werden. Genannt seien hier nur die Veteranen, die sich an das Lenindenkmal der Stadt ketteten, das im Zuge der „Dekommunisierung“ der Ukraine, die per Gesetz vom 09. April 2015 eingeführt wurde, und sowohl die Symbolik der Sowjetunion und der Kommunisten als auch die kommunistische Ideologie im Ganzen verbot, abgerissen werden sollte. Einen Tag lang hielten diese tapferen Menschen bei „ihrem Lenin“ aus, verhöhnt und bespuckt, ehe sie gewaltsam entfernt und Lenin vom Sockel gestürzt wurde.

Aufbau der Volksrepubliken

Während die Widerstandsbewegung in den Regionen Charkow, Saporoshe, Dnepropetrowsk und Odessa blutig niedergeschlagen wurde, gelang es in den Gebieten von Donezk und Lugansk eine neue staatliche Struktur aufzubauen, deren politische Grundsätze die Bildung eines multinationalen Staates, das Volkseigentum an Grund und Boden sowie an den natürlichen Ressourcen und der Antifaschismus sind. Diese Grundsätze wurden in der Unabhängigkeitserklärung vom April 2014 erstmals verankert und sind durch die im Mai 2014 durchgeführten Referenden von der Bevölkerung dieser Regionen bestätigt worden. Kommunisten waren von Anfang an Aktivisten der Antimaidan-Bewegung und maßgeblich an der Ausarbeitung und Umsetzung der genannten staatlichen Grundsätze in den beiden Volksrepubliken beteiligt. In den ersten Volkssowjets der DVR und LVR gab es ausschließlich linke Kräfte, wie der Vorsitzende der Donezker KP Boris Litwinow in einem Interview erklärte. In der DVR gründete sich im Herbst 2014 eine eigenständige kommunistische Partei, die durch die KPRF große Unterstützung erhielt, zu den Wahlen im November 2015 jedoch nicht als Ganzes antreten durfte. Drei Mitglieder der Kommunistischen Partei kamen über die Wahllisten der gesellschaftlichen Organisation Donezkaja Respublika ins neu gewählte Parlament.

In den im April 2014 angenommenen Verfassungen der Volksrepubliken ist das Recht auf Arbeit, auf menschenwürdigen Wohnraum, kostenlose Bildung und ein ebensolches Gesundheitswesen fest verankert. Zu den wichtigsten Anliegen bei dem Aufbau der Republiken gehören die Gleichberechtigung aller Nationalitäten und Konfessionen sowie der Anspruch auf sozialen Schutz und soziale Gerechtigkeit. Natürlich ist die wirtschaftliche und soziale Lage in den beiden Volksrepubliken schwierig wegen der Zerstörungen durch ständigen Artilleriebeschuss auch in den Zeiten der Waffenruhe sowie aufgrund der Blockadestrategie und ständiger Diversionsversuche von ukrainischer Seite aus und der Verweigerung von der Bevölkerung zustehenden Zahlungen, z.  B. im Renten- und Sozialbereich.

Schwierigkeiten bei der Schaffung dieser unabhängigen Staaten, besonders hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und politischen Ausrichtung, ergeben sich auch aus dem Kampf verschiedener Klasseninteressen im Inneren der Republiken. Ukrainische und russische Oligarchen versuchen, mit Hilfe von Marionetten in den Verwaltungen und Regierungen durch die Hintertür wieder an Einfluss zu gewinnen. Diesen gefährlichen Prozessen stellen sich zunehmend v. a. die Ministerien für Staatssicherheit beider Länder, aber auch die Volkssowjets, die großen gesellschaftlichen Organisationen und die Kommunisten zusammen mit anderen Linken entgegen. Die vom Volk bestätigten Verfassungen bieten ihnen dabei eine gute Grundlage.

Die Umsetzung des Prozesses der Entwicklung einer antioligarchischen und sozial gerechten Gesellschaft ist unter den Bedingungen des Krieges natürlich alles andere als einfach. In Vielem sind die Republiken auf humanitäre Hilfe angewiesen. Diese kommt noch immer vorrangig aus der Russischen Föderation, in den sogenannten „Weißen Konvois“, die Lebensmittel, Waren des täglichen Bedarfs, Baumaterialien, Medikamente und anderes dringend Benötigte bringen und größtenteils über staatliche Einrichtungen und unter öffentlicher Kontrolle an Bedürftige, aber auch an staatliche Verwaltungen, öffentliche Institutionen und medizinische Einrichtungen verteilt wird. Auch der 14-tägige Hilfskonvoi der KPRF lindert die Not dort, wo sie am größten ist.
Jedoch legen die Volksrepubliken Wert darauf, ihre Industrie, die Land- und Bauwirtschaft wieder zu entwickeln, um die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe zu verringern. Im Bereich der Landwirtschaft ist dies weitestgehend geschehen, nachdem die landwirtschaftlichen Flächen intensiv entmint und Viehzuchtanlagen neu aufgebaut worden sind.

Staatlich anerkannt wurden die Volksrepubliken des Donbass bis jetzt lediglich von der Republik Südossetien. Deshalb müssen alle Finanztransaktionen ins Ausland über dieses Land, mit dem ein Kooperationsabkommen besteht, abgewickelt werden, was wieder andere Schwierigkeiten und verlustreiche Umwege mit sich bringt. Deshalb wäre eine Anerkennung der DVR und LVR durch Russland sehr wichtig, wofür sich die KPRF seit langem einsetzt.

Im Inneren der Republiken sind mittlerweile alle wesentlichen Strukturen und Institutionen, die ein Staat benötigt, geschaffen und müssen nun systematisch weiterentwickelt werden. Zunächst war es möglich, in beiden Ländern mit verschiedenen Währungen zu bezahlen, jedoch kristallisierte sich bald heraus, dass der russische Rubel die übliche Währung im Inland wurde. Es gibt ein staatliches Bank- und Finanzwesen, einen republikanischen Mobilfunkanbieter, staatliche Funk- und Fernsehsender.

Der Aufbau dieser Bereiche geschah und geschieht in der DVR deutlich transparenter als in der LVR. So wurden viele Kohleschächte, die in der Vergangenheit in der Ukraine privatisiert worden waren, sowie von ihren Besitzern im Stich gelassene Betriebe wieder verstaatlicht oder zunächst unter Verwaltung des Staates gestellt. Über ein System der staatlichen Kontrolle und Verwaltung sollen die wichtigsten Industriezweige zum Wohle des Volkes und nicht zur Bereicherung Einzelner produzieren. Die Eisenbahn wurde in der Donezker Volksrepublik ebenfalls wieder in Staatseigentum überführt.

Auch die LVR bemüht sich darum, die Betriebe staatlich zu kontrollieren. Immer wieder werden durch die Mitarbeiter der Staatssicherheit und durch gesellschaftliche Kontrollkommissionen Fälle von Misswirtschaft, Korruption und fehlender Lohnauszahlung im großen Stil aufgedeckt. Ausgebaut wird der staatliche Sektor auch in anderen Bereichen, wie im Groß- und Einzelhandel für Lebensmittel, Medikamente oder Treibstoffe. Vor Ort werden Preis- und Qualitätskontrollen über gesellschaftliche Organisationen durchgeführt. Besonders geht es dabei um die Waren des täglichen Bedarfs, für die es staatlich festgelegte Höchstpreise gibt.

Die kommunalen Dienste der DVR sind größtenteils wieder in der Hand des Staates oder der Kommunen. Die Tarife können daher stabil und auf einem wesentlich geringeren Niveau als in der Ukraine gehalten werden. Staatlich geregelt ist auch, dass kommunale Abgaben in der Zeit der Kämpfe nicht erhoben wurden und auch heute noch in frontnahen Orten, die trotz Waffenruhe von ständigem Beschuss betroffen sind, entfallen. Ein Ministerium für Wiederaufbau koordiniert in der DVR die Reparatur und den Neubau zerstörter Wohnhäuser und kommunaler Einrichtungen.

Grundlegende Bildung und notwendige medizinische Behandlung sind in staatlichen Institutionen beider Republiken kostenlos. Bestimmte Medikamente werden kostenlos an Erkrankte und Verletzte abgegeben, bei den anderen wird versucht, die Preise durch ständige staatliche Kontrolle möglichst stabil zu halten. Die Kindergarten- und jüngeren Schulkinder erhalten eine kostenlose Essensversorgung in ihren Bildungseinrichtungen, der Transport zur Schule und zurück wird staatlich subventioniert.

Die oben beschriebenen Probleme, die die Volksrepubliken zu bewältigen haben, müssen vor dem Hintergrund der Aggression der Kiewer Junta betrachtet werden. Ein Großteil der Infrastruktur, Produktionsstätten der Industrie und der Landwirtschaft ist im Krieg und auch in den „heißen Phasen“ der Waffenruhe zerstört worden, Menschen leben weiter aus Angst vor Beschuss in Kellern, teils ohne Wasser und Strom. Tausende haben ihre Wohnung, ihr Haus, ihre Heimat verloren und müssen von den Volksrepubliken mit dem Nötigsten versorgt werden. Der Wiederaufbau und die Weiterentwicklung beider Staaten wird selbst bei einer konsequenten Einhaltung der Waffenruhe und der eher unwahrscheinlichen Aufhebung der Wirtschafts- und Finanzblockade durch Kiew längere Zeit in Anspruch nehmen. Allein der Wiederaufbau des Zerstörten wird mehrere Jahre dauern.

Rolle der Kommunisten

Die Ausrichtung der Volksrepubliken gegen Oligarchie und ihre Auswüchse, hin zu  sozialer Gerechtigkeit, staatlicher Kontrolle über Schlüsselbereiche des Staates, gleichen Rechten für alle Nationalitäten,  zur Gleichheit aller Bürger und der Umsetzung der grundlegenden Menschenrechte auf Arbeit, Wohnen, kostenlose Bildung und medizinische Versorgung zog vom Anfang der Widerstandsbewegung an alle Menschen an, die von einem Staat des Volkes zum Wohle des Volkes träumten. Auch hier ist wieder begrifflich zu unterscheiden, dass im Gegenteil zum Völkischen hier die werktätigen Menschen gemeint sind.

Der mutige und selbstlose Einsatz der Kommunisten bei der Organisation des Widerstands, des Referendums zur Unabhängigkeit des Donbass, im Kampf gegen die Kiewer Aggressoren sowie ihr planvolles, vorausschauendes Handeln bei der Erarbeitung der gesetzlichen Basis der Volksrepubliken und beim Aufbau des Staates brachte ihnen große Sympathien der Werktätigen im In- und  im russischsprachigen Ausland ein (dies ist einer der Gründe, warum die Vorgänge in der Ukraine und in den unabhängigen Republiken des Donbass in den hiesigen Medien nur verzerrt oder vage wiedergegeben wurden und auch heute noch werden). Kommunisten saßen anfangs an vielen Schaltstellen der Regierungen beider Länder, der Kommunist Boris Litwinow, späterer Vorsitzender der KP der DVR, war federführend bei der Ausarbeitung von Unabhängigkeitserklärung und Verfassung und wurde im Jahr 2014 Vorsitzender des Donezker Volkssowjets.

Da sich die Bevölkerung der Oblaste Lugansk und Donezk für staatlich unabhängig von der Ukraine erklärt hatte, war es für die Kommunisten nur folgerichtig, eine eigene kommunistische Partei in ihrem Land zu gründen. Dies führte zunächst zu harten Auseinandersetzungen mit der KPU-Führung, die den Verlust ihres Wählerpotenzials im Donbass fürchtete. Inzwischen ist die baldige Aufnahme der Kommunistischen Parteien der DVR und der LVR mit Beobachterstatus im Bund der Kommunistischen Parteien der Länder der ehemaligen Sowjetunion vorgesehen, sie arbeiten schon jetzt eng auch mit der KPU zusammen und unterstützen die Bruderpartei im Kampf gegen ihre Kriminalisierung und das Parteiverbot seitens der Ukraine.

Die KP der DVR gründete sich im Herbst 2014 und ließ sich als erste Partei der Volksrepublik offiziell registrieren. Kurz danach wurde ein Gesetz angenommen, das die Bildung von Parteien auf dem Gebiet der Donezker Volksrepublik verbot. Lediglich die Gründung von gesellschaftlichen Organisationen wurde zugelassen. In der LVR wurde ein entsprechendes Gesetz ebenfalls verabschiedet. So organisierten sich die Kommunisten dort zunächst als „Union der Lugansker Kommunisten“. Anfang dieses Jahres vereinigte sich diese Union mit Teilen ehemaliger KPU-Strukturen vor Ort und anderen Sympathisanten zur Kommunistischen Partei der LVR, wobei eine offizielle Registrierung aufgrund der Gesetzeslage wahrscheinlich nicht erfolgten konnte.

Zu den Wahlen zum Volkssowjet und zum Oberhaupt der Volksrepublik Donezk 2014 wurde die KP der DVR aus angeblich formalen Gründen nicht zugelassen, zog jedoch über die Liste der gesellschaftlichen Organisation Donezkaja Respublika mit drei Mandaten ins Parlament ein. Im Mai 2016 wurden zwei kommunistische Abgeordnete aus der Fraktion von Donezkaja Respublika und damit nach der geltenden Gesetzgebung auch aus dem Volkssowjet ausgeschlossen. Der Inhaber des dritten Mandats, Wadim Seibert, war zuvor bei den Kämpfen bei Debalzewo gefallen. Die KP der DVR geht gegen diese Entscheidung rechtlich vor, ohne jedoch das antifaschistische Aktionsbündnis aufzukündigen.

Die Kommunisten der LVR hatten es ebenfalls schwer, ihre Arbeit zu organisieren, handlungsfähige Strukturen aufzubauen und damit in die Öffentlichkeit zu gehen, da Entscheidungen der Regierungs- und Verwaltungsorgane wesentlich intransparenter und oft scheinbar willkürlich getroffen wurden. Allerdings wurde mit der Gründung der KP der LVR auch ein Mitglied des dortigen Volkssowjets Mitglied der Partei.

Jedoch verfolgen beide kommunistische Parteien ein Ziel: dass die Volksrepubliken den  eingeschlagenen Weg zu einer antioligarchischen, sozial gerechten und letztlich sozialistischen Entwicklung weitergehen. Dafür setzen sie sich in ihren Städten und Ortschaften ein, arbeiten aktiv in regionalen Räten und Strukturen der Volkskontrolle, koordinieren ihr Handeln mit den Bruderparteien in der Union der Kommunistischen Parteien der ehemaligen Sowjetunion. Dafür halten sie Anfeindungen und Provokationen stand, die von bestimmten Kräften innerhalb der Regierungen Russlands und der Volksrepubliken, aber auch von anderen, sich kommunistisch oder links nennenden Gruppierungen vorgebracht werden, die die Aktionseinheit der linken Kräfte aufbrechen wollen und damit letztlich dem Gegner in Kiew in die Hände spielen.

Nicht aus Selbstsucht, nicht aus einem Bereicherungswunsch heraus, sondern mit der festen Überzeugung, dass der Weg der Länder nur zum Sozialismus führen kann, unterstützen die Mitglieder der kommunistischen Parteien  die antifaschistischen Kräfte in ihren Republiken und auch in der Ukraine und bemühen sich um die Ausarbeitung eines Konzepts zur weiteren Entwicklung ihrer Länder, die den in den Verfassungen der Republiken verankerten Grundsätzen und dem Wunsch der Mehrheit ihrer Bürger entspricht.
Kehren wir zu unserem Ausgangspunkt, dem Festumzug des Volkes zum Tag der Republik am 11. Mai 2016 in Donezk, zurück.Wir verstehen, wie wichtig es für die Donezker Kommunistinnen und Kommunisten ist, an diesem Tag  Flagge zu zeigen. Sie waren unter den Geburtshelfern dieses jungen Staates, der doch schon dem Wickelalter entwachsen ist und den sie heute feiern. Die Mitglieder der Kommunistischen Partei der DVR sind, festlich geschmückt, mit Blumen in den Händen und mit ihren roten Fahnen am verabredeten Treffpunkt versammelt. Plötzlich erscheinen Ordner, die ihnen das Tragen ihrer Fahnen verbieten. Die Flaggen der DVR sind dagegen zugelassen und erwünscht. Die Aufregung unter den Versammelten ist groß. Ganz klar ist hier das Ziel, den Anteil der Kommunisten an der Existenz der Volksrepublik, die nun schon den zweiten Geburtstag feiert, unter den Teppich zu kehren. Spontan beschließt die Kolonne der Veteranen der Garnison von Slawjansk, zu der sich auch verschiedene Flüchtlinge gesellen, aus dieser wirklichen Heldenstadt, die unter dem Terror der ukrainischen Okkupation stöhnt und den heutigen Tag noch nicht feiern kann, die Kommunisten in ihren Reihen mitgehen zu lassen. Schließlich sind sie Kampfgefährten im antifaschistischen Bündnis und mehrheitlich den Ideen der Genossen nahestehend. Den Mitgliedern und Sympathisanten der KP  der DVR im Demonstrationszug der Slawjansker haben sich auch Kommunisten und Linke anderer Länder der Erde angeschlossen. Sie marschieren gemeinsam, Seite an Seite, für eine helle, sozialistische Zukunft. Die Sympathie der Zuschauer und der anderen Demonstrationsteilnehmer im Festumzug des Volkes ist ihnen sicher. Was macht es da schon, wenn sie in der offiziellen Begrüßung durch die Regierung nicht erwähnt werden. Ebenso übrigens, wie die Kämpfer aus Slawjansk, die antifaschistische Solidarität ganz konkret leben, nicht nur an diesem Tag [1].
Konkret gelebte Solidarität, das ist es, was die Kommunisten im Donbass und in der Ukraine, was den antifaschistischen Kampf stärkt. Boris Litwinow, Vorsitzender der Kommunistischen Partei der DVR formuliert es so: „Die linken, antikapitalistischen Bewegungen müssen sich besser organisieren, vernetzen und internationale Solidarität zeigen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Propagandalügen − etwa, dass Moskauer Truppen im Donbass kämpfen – müssen mit Informationen über die wahren Vorgänge als solche entlarvt werden. An die Werktätigen in Deutschland: Bitte fordert von eurer Regierung, dass sie ihre Unterstützung für Kiew und für dessen Pläne zur Vernichtung unserer jungen Republik einstellt. Hände weg von der Volksrepublik Donezk!“ [2] Daher ist die derzeit wichtigste Form der Solidarität, die die deutsche Linke, die Kommunistinnen und Kommunisten in- und außerhalb der DKP leisten können, ist, sich über die Entwicklung in diesem Teil Europas zu informieren und Informationen an andere Menschen weiterzugeben. Dazu kann jeder beitragen. Denn nur gemeinsam ist dieser Kampf zu gewinnen!

Quellen und Anmerkungen:

[1] Als Quellen für die in diesen Absätzen dargestellten Vorgänge dienten: https://youtu.be/_GFeOk7TffQ sowie http://wpered.su/2016/05/17/o-pozicii-centralnogo-komiteta-kommunisticheskoj-partii-dnr-v-svyazi-s-postanovleniem-narodnogo-soveta.
[2] Interview, junge Welt, 03.03. 2016.

* Swetlana Ebert, Kommunistin ohne Parteibuch, gehört zum Kollektiv der „Alternativen Presseschau“, das täglich Nachrichten aus den Volksrepubliken des Donbass, der Ukraine und Russland zusammenstellt und übersetzt. Schwerpunkte bei der Nachrichtenauswahl sind die Lage in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie die Situation der Kommunisten vor Ort. Die Übersetzungen werden als Newsletter verschickt und im Blog alternativepresseschau.wordpress.com der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Möglichkeit nutzen Leser nicht nur aus den deutschsprachigen Ländern. Für diesen Artikel wurden Informationen aus zahlreichen russischen und ukrainischen regionalen und überregionalen Online-Medien verwendet sowie von Medien aus den Volksrepubliken des Donbass. Ergänzend dazu flossen Informationen aus Materialien der KP der DVR, aus dem Programm der Bewegung „Novorossia“, aus Videointerviews von youtube sowie sozialen Netzwerken ein (Anm. d. Red.).