Über T&P

Herausgeber: Arbeitskreis Sozialismus in Wissenschaft und Politik.
Hans Heinz Holz †, Johannes Magel, Hacki Münder, Renate Münder †, Hans-Günter Szalkiewicz †, Wolfram Triller

Die vorläufige Niederlage des Sozialismus in den osteuropäischen Ländern hat viele Kommunisten in Unsicherheit gestürzt und Verwirrung in die kommunistische Bewegung getragen. Sind die Lehren von Marx, Engels und Lenin nach dem Wandel der weltpolitischen Lage noch gültig? Erfordert die Herrschaft der imperialistischen Metropolen über die Welt, in der ihnen kein gleichwertiger Gegner mehr gegenüber steht, eine grundsätzliche Neueinschätzung der Zukunftsperspektiven? Ist es noch sinnvoll, von Klassenkampf zu sprechen, wenn durch die technische Entwicklung der Charakter der Arbeit wesentlich verändert wird und die Lebensweise der Lohnarbeiter ganz neue Züge annimmt? Kann man sich nach dem ersten Scheitern noch eine sozialistische Gesellschaft vorstellen? Wenn man das will, wie müsste sie aussehen? Haben die kommunistischen Parteien, die den Aufbau des Sozialismus in Angriff genommen hatten, versagt? In welcher Hinsicht und warum?

Fragen über Fragen. Und die den Sozialismus noch ernst nehmen, haben fast so viele Antworten darauf, wie es Antwortende gibt. Individuelle Eindrücke, Mutmaßungen, Einflüsse bürgerlicher Ideologie, dogmatisches Festhalten an altvertrautem Lehrbuchwissen gehen eine merkwürdige Mischung ein. Wissenschaftliche Analyse und Systematisierung waren einmal die Stärke des Sozialismus. Sein Anspruch war, politisch nicht von Fall zu Fall, sondern aus dem theoretischen Begreifen der Tendenzen und realen Möglichkeiten zu handeln. Einheit von Theorie und Praxis lautete der Leitgedanke.

Theorie muss aus der Verallgemeinerung vieler und verschiedenartiger Praxiserfahrungen hervorgehen und sich als Handlungsorientierung wieder in der Praxis bewähren. Darum kann eine gute Theorie nie nur im Kopf von Einzelnen entworfen werden. Sie ist das Resultat aus vielen individuellen Gedanken – und denken muss jeder in der Tat für sich selbst! -, die zu einem kollektiven Erkenntnisprozess zusammengeführt werden. Dabei sind Alltagserfahrungen ebenso wichtig wie Expertenwissen.

Kollektive Erkenntnisprozesse entstehen nicht von selbst. Sie werden in Gang gesetzt am Arbeitsplatz, in Gemeinschaftsinstitutionen, in Bildungs- und Forschungsstätten, im politischen Leben, in der Publizistik, im Klassenkampf. Für Arbeit an einer praxisbezogenen sozialistischen Theorie fehlt es gegenwärtig in unserem Land an den organisatorischen Plattformen. Sie können nicht einfach aus dem Boden gestampft werden. Sie müssen aus dem Austausch und der Auseinandersetzung wachsen.

Nach der Niederlage 1990 war das Bewusstsein dafür wach. Örtliche Vereinigungen bildeten sich, wie etwa in Mannheim der Gesprächskreis Geschichte und Politik und in Frankfurt der Verein Wissenschaft und Sozialismus. In den ermüdenden Anforderungen des politischen Alltags erlahmte nach einiger Zeit ihre Kraft. An sie möchten wir anknüpfen, wenn wir aufs Neue bei der Verständigung über die Fragen, deren Beantwortung für unsere Praxis unerlässlich ist, eine Zusammenarbeit anregen und einen noch so bescheidenen Rahmen dafür schaffen wollen. Der Arbeitskreis, der diese Initiative nimmt, kann und will nichts anderes sein als einer der Orte, an dem diese Zusammenarbeit erfolgt. Ein Brennpunkt für den Austausch von Informationen, Meinungen, Schlussfolgerungen. Die Aufsätze der Autoren sollen der Anstoß sein, die Reaktionen der Leser das wichtigste Ergebnis.

Im antiken Athen und Rom und in den mittelalterlichen freien Kommunen trafen sich die Bürger auf dem Marktplatz, um politische Entscheidungen zu beraten und zu treffen. In Massengesellschaften ist diese Form der Willensbildung nicht mehr möglich. Sie findet heute in den Informationsmedien statt. Dazu sollen diese in unregelmäßiger Folge erscheinenden Blätter des Arbeitskreises Sozialismus in Wissenschaft und Politik beitragen. Wir wünschen uns, dass sich aus diesem Anstoß eine lebhafte Debatte entfaltet.

Ein neues Jahrhundert hat begonnen. Eine neue Generation will ihre Zeit verstehen, ihre Ziele bestimmen, ihrem Leben Sinn und Sicherheit geben. Die Welt muss von Menschen gestaltet werden, deren Zukunft noch vor ihnen liegt. Die die Erfahrungen des Kampfes gegen den Faschismus und des Aufbaus des Sozialismus gemacht haben, können ihnen mit ihrem Rat zur Seite stehen. Klar muss nur sein, dass es ums Morgen geht, in dem der Sozialismus nicht nur möglich sein, sondern wirklich werden soll.

Dies wollen wir mit allem Optimismus festhalten. Denn das Alte darf nicht bleiben und die Menschheit wird die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen. Zu diesem Heft: Die Diskussion zur Einschätzung der heutigen Phase des Imperialismus hat weltweit hohe Wogen geschlagen, Grundpositionen, wie sie im Arbeitskreis bestehen und für das politische Handeln bedeutsam sind, werden hier in einer für die praktische Orientierung nötigen Verknappung vorgetragen.