Meinungsfreiheit in der DDR und der BRD

Posted on 8. Februar 2013 von

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smvon Erich Buchholz*

Der Begriff der Meinungsfreiheit ist vom Grundbegriff der Freiheit gem. Art. 2 GG abgeleitet, wie auch die Vereinigungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und andere als politische und Bürgerrechte bekannte Grundrechte. Dieses Freiheitsrecht wird im Grundgesetz und in der DDR-Verfassung ganz ähnlich definiert, z. T. herrscht sogar wörtliche Übereinstimmung.

Das Grundgesetz bringt die überkommene Vorstellung von Freiheit am unmittelbarsten zum Ausdruck. Dort ist das Hauptgrundrecht der Freiheit im Art. 2 unter der Überschrift „Allgemeine Freiheitsrechte“ verankert. Es bringt das ideelle, ideologische Grundkonzept jener Gesellschaft zum Ausdruck, für die das Grundgesetz ausgearbeitet wurde und die sich im Art. 21 Abs. 2 GG als freiheitlich-demokratische Grundordnung definiert.

Freiheit für wen und was?

Freiheit sei das allerwichtigste – die tonangebenden Politiker und die Medien werden nicht müde, dies zu wiederholen und transportieren diese Vorstellung in die Köpfe der Bürger. Was für eine Freiheit, für wen, wer profitiert von ihr – das bleibt im Dunkeln. Freiheit wovon und von wem?

Wo immer Menschen seit Jahrhunderten für Freiheit, für ihre Befreiung kämpften und starben, ging es immer um ganz konkrete Freiheiten: das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Recht auf persönliche Freiheit. Diese Rechte sah auch die DDR-Verfassung vor. In diesen Freiheitskämpfen – und nicht nur im harmlosen Alltag – spielte und spielt die Meinungsfreiheit, die Freiheit sich zu artikulieren, auszusprechen für wen, für was und gegen wen um die Freiheit gekämpft wird, eine sehr große Rolle.

Ebenso vage ist der Begriff der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Er überlässt es der Wissenschaft und vor allem der Rechtsprechung zu bestimmen, inwieweit im Einzelfall dieses Grundrecht verletzt wurde oder nicht. Der konkrete Inhalt und seine Reichweite bleiben offen. Somit wird derjenige, der die Rechte anderer verletzt und sich schon im Voraus durch einen Anwalt beraten ließ, in seinem Verhalten bestärkt. Der „Robuste“, der mit den kräftigeren Ellenbogen, setzt sich durch!

Rechte zu haben, ist eines, Rechte in Anspruch zu nehmen, sie praktisch nutzen zu können, ist etwas ganz anderes. Schon die Ausübung des allgemeinen Freiheitsrechts ist vor allem durch wirtschaftliche Voraussetzungen bedingt und setzt für ihre praktische Nutzung objektive Grenzen. Diese Grenzen sind bei der Meinungsfreiheit noch enger: sie besteht vor allem für den, der die praktische Möglichkeit hat, die Freiheit in Anspruch zu nehmen, Meinungen zu verbreiten. Überflüssig zu sagen, dass es dabei nicht um die freie Meinungsäußerung in der Familie, im Bekanntenkreis, auf der Straße oder im Gasthaus geht. Derartige Meinungsäußerungen sind gesellschaftspolitisch und verfassungsrechtlich uninteressant.

Grenzen der Freiheit

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit hat – ähnlich wie auch das Freiheitsrecht des Art. 2 GG – juristische Grenzen, die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, namentlich die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und die zum Schutze der persönlichen Ehre. Das Ausprobieren der Grenzen dieser Freiheit ist ein begehrter (nicht selten auch einträglicher) Schauplatz juristischer Auseinandersetzungen, besonders im Bereich der Medien.

In der DDR hatten die Grundrechte der Bürger einen ganz anderen Inhalt; sie folgten anderen Vorstellungen und Konzeptionen als die Bestimmungen des Grundgesetzes. Sie waren in der DDR klar und eindeutig bestimmt: So waren nach Art. 8 der Verfassung „die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts für die Staatsmacht und jeden Bürger verbindlich“. Insbesondere Eroberungskriege und militärische Einsätze gegen die Freiheit eines anderen Volkes waren absolut unzulässig. Auch militaristische und revanchistische Propaganda, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass waren als Verbrechen unter Strafe gestellt.

Dies hat Bertolt Brecht in einem Offenen Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller vom 26.09.1951 unnachahmlich formuliert: Völlige Freiheit des Buches, des Theaters, der bildenden Kunst, der Musik und des Films – jeweils mit einer Einschränkung: Keine Freiheit für Schriften und Kunstwerke, welche den Krieg verherrlichen oder als unvermeidbar hinstellen, und für solche, welche den Völkerhass fördern.

In der Verfassung der DDR waren im Gegensatz zum Grundgesetz nicht nur Rechte festgelegt, sondern auch Pflichten: für die staatlichen Behörden, aber auch für die Bürger. Eine Rechtsordnung, die im Grundrechtsteil (außer der später eingefügten „Wehrpflicht“) nur Rechte benennt und keine Pflichten, ist unnatürlich, irreal, trügerisch oder gar verlogen. Ohne entsprechende Rechte und Pflichten kann keine menschliche Gesellschaft existieren. Auch die Weimarer Verfassung enthielt – bei allen sonstigen Mängeln – „Grundrechte und Grundpflichten“ der Einzelperson. In der BRD regelt nicht das GG, sondern das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) die Rechtsverhältnisse der Bürger und hält dazu durchgängig wechselseitige Rechte undPflichten fest.

Meinungsfreiheit im Betrieb

Interessant ist, wie es mit der Meinungsfreiheit im Betrieb, in der Fabrik bestellt ist, ob dort Kritik an der Leitung des Werkes, am Unternehmer, erlaubt ist, also unter die Meinungsfreiheit fällt.

DDR-Bürger waren es gewohnt, ohne Nachteile zu befürchten, öffentlich, in Belegschafts-, Gewerkschafts- oder Parteiversammlungen an der Betriebsleitung oder an sonstigen Vorgesetzten Kritik zu üben. Die Diskussion von Problemen in den Betriebsparteiorganisationen der SED war von größter Bedeutung! Sehr schnell mussten die DDR-Bürger lernen, dass solches in der kapitalistischen BRD gefährlich werden kann, dassauf Kritik am Management oder an einzelnen Personen der Geschäftsleitung die Kündigung droht. Das ist im BRD-Arbeitsrecht rechtens, weil der „Arbeitgeber“ darin einen Vertrauensbruch sehen darf!

Durch solche praktischen Erfahrungen begriffen die DDR-Bürger sehr schnell den wesentlichen Unterschied der Meinungsfreiheit in der BRD und in der DDR. Die Verfassung der DDR verbot ausdrücklich Nachteile für Werktätige wegen ihrer Meinungsäußerung: „Dieses Recht“ – das der Meinungsfreiheit – „wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt. Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht.“

Für die DDR war gemäß ihrem politischen Grundkonzept, besonders der umfassenden politischen Beteiligung der Bürger am Staatswesen, die Meinungsfreiheit in den Volksvertretungen, im Betrieb und im Wohngebiet, nicht zuletzt in den Medien, außerordentlich wichtig. Ohne solche breite allgemeine Meinungsäußerung konnte eine basisdemokratische (nicht nur „repräsentativ-demokratische“) Gesellschaft nicht leben. Eine solche Gesellschaft brauchte die freie Meinungsäußerung ihrer Bürger wie die Luft zum Atmen, besonders deren Kritik.

Das Spektrum der Meinungsäußerungen, auch von kritischen, war enorm, und das auf jeder Ebene der politischen Organe, im Wohngebiet, in den Abteilungen der Volkseigenen Betriebe oder in den gesellschaftlichen Organisationen. Eine besonders wichtige Form bestand in Eingaben aller Art. Die DDR-Bürger nutzten die Möglichkeiten, ihre Meinung und Kritik vorzutragen in weitestem Umfang.

Eigentumsverhältnisse entscheidend

Art und Charakter eines politischen Herrschaftssystems hängen von den jeweils maßgeblichen Eigentumsverhältnissen ab. In der BRD hat sich das Kapital, insbesondere das Monopolkapital, den Staatsapparat weitgehend untergeordnet, so dass seine Herrschaft als Herrschaft politischer Institutionen – Regierung, Bundestag, politische Parteien usw. – erscheint. Daher sieht es so aus, als ginge es bei Bundestagswahlen „um die Macht“ im Staate! Die Medien in der BRD, seien sie im Privatbesitz oder im Besitz des Staates, sind dem entsprechend ausgerichtet.

In der sozialistischen DDR herrschte ökonomisch das Volkseigentum. Alle politischen Institutionen – Parteien, Volkskammer und Regierung – waren nur „Verwalter“ dieses Eigentums des Volkes. Wie überall führt der „Verwalter“ die Geschäfte – gut oder weniger gut oder sogar schlecht. In der Öffentlichkeit erschien dieser „Verwalter“ als Inhaber der Macht.

Die DDR stellte gemäß ihres basisdemokratischen Grundkonzepts und ihrer Verfassung den Bürgern, vor allem den Werktätigen, die materiellen Möglichkeiten für die Äußerung und Verbreitung ihrer Meinung zur Verfügung: Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen, Versammlungsräume usw. Wie die jeweils Verantwortlichen mit den ihnen zugegangenen Meinungsäußerungen der Bürger umgingen, war eine Frage ihrer Verantwortung und ihres Geschicks – und der Reaktion der Bürger selbst auf diesen Umgang sowie der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung.

*Der Autor war Professor für Strafrecht an der Humboldt Universität in Berlin