DKP und Kleinbürgertum

Posted on 2. November 2011 von

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von Sepp Aigner

„Die Hegemonie des Kommunismus in der Arbeiterklasse und in den Bewegungen kann … nicht die Voraussetzung für die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse sein“ [1] ist in den Politischen Thesen zu lesen. Nicht nur, dass damit die Notwendigkeit der Hegemonie eines revolutionären Zentrums der Arbeiterklasse in Gestalt der kommunistischen Partei bestritten wird, es wird sogar festgelegt, dass dies keine Voraussetzung für die „Umwälzung“ sein kann.

Woher kommt diese „Neubestimmung“ der Rolle der Partei, die darin besteht, festzulegen, was sie nicht sein kann?

Die Aussage in den Politischen Thesen ist nur ein Indiz für das Eindringen kleinbürgerlichen Einflusses in unsere Partei. Transportiert werden diese Vorstellungen teils von außen, in Gestalt links-keynesianistischer Konzeptionen, wie sie z. B. im isw diskutiert und mit einer Wiederauflage der „Wirtschaftsdemokratie“-Debatte [2] zugespitzt werden. Die theoretischen Ausgangspunkte finden wir im Erbe der so genannten Neuen Linken, die in Abgrenzung zum „traditionellen Kommunismus“ Marx „neu interpretieren“. Diese Einflüsse haben in unserer Partei selbst Fuß gefasst und sich in den Politischen Thesen zu einer Konzeption verdichtet. Wir dürfen uns — bei Strafe der Zerstörung des kommunistischen Charakters unserer Partei — nichts vormachen: Bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen handelt es sich nicht um Differenzen in einzelnen Fragen, sondern um einen Angriff auf die marxistisch-leninistischen Grundlagen der DKP und den Versuch, ihr eine andere theoretische Grundlage zu geben.

Klassengrundlage: die Zwischenschichten

Solche Erscheinungen haben eine Klassengrundlage. Sie widerspiegeln die Schwäche der Arbeiterbewegung. Angesichts dieser Schwäche dominieren heute kleinbürgerliche Bewegungen das Widerstandspotenzial gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Die so genannten neuen sozialen Bewegungen

[3] sind ihr politischer Ausdruck.

Für eine wissenschaftlich begründete, politische Herangehensweise der Kommunisten an diese Bewegungen ist es unerlässlich, ihre klassenmäßige Grundlage zu analysieren. Nur so können wir den wirklichen sozialpolitischen Inhalt dieser Bewegungen zutreffend erfassen und uns dagegen wappnen, von deren Heterogenität und Unbestimmtheit selbst erfasst zu werden.

Die kapitalistische Gesellschaft teilt sich bekanntlich in zwei einander antagonistisch gegenüberstehende Hauptklassen — Bourgeoisie und Arbeiterklasse. Zwischen ihnen steht das Kleinbürgertum — Zwischenschichten also. Das historische Kleinbürgertum, wie es zur Zeit Lenins existierte — Kleinbauern, kleine Ladenbesitzer, kleine Handwerker usw. — spielt heute in Deutschland kaum noch eine Rolle. Seitdem ist aber ein „neues“ Kleinbürgertum gewachsen, das zwar zum Teil lohnabhängig ist, sich aber vor allem durch Verdienst und Position (Weisungsbefugnis) vom Proletariat unterscheidet: leitende Angestellte, Professoren, höhere Offiziere und Beamte; große Teile der Intelligenz wie Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten, Notare, Lehrer, Ingenieure etc. usw.

Der Begriff Zwischenschichten ist deshalb treffend, weil es sich nicht um eine Klasse mit einheitlichen Interessen handelt, sondern um ein Konglomerat aus gesellschaftlichen Kollektiven mit sehr unterschiedlichen Existenzmerkmalen. Ihre Gemeinsamkeit ist sozusagen eine negative — sie gehören keiner der beiden Hauptklassen an. Daraus ergibt sich das für das Kleinbürgertum charakteristische Schwanken zwischen ihnen.

Es kommt hinzu, dass sich die beiden Hauptklassen selbst in Schichten ausdifferenzieren. Bei den unteren Segmenten der Bourgeoisie und bei den oberen Segmenten der Arbeiterklasse verschwimmt die Klassengrenze zum Kleinbürgertum hin. Sowohl an dessen unterem wie oberem Rand gibt es Übergänge. Außerdem fallen beständig Kleinbürger und sogar Angehörige der unteren Segmente der Bourgeoisie ins Proletariat, und Angehörige der Arbeiterklasse, vornehmlich der „Arbeiteraristokratie“, steigen ins Kleinbürgertum auf.

Das Kleinbürgertum wirkt in vielfältiger Weise auf die Arbeiterklasse ein. Aufstiegshoffnungen im Proletariat haben gewöhnlich kleinbürgerliche Existenzen zum Vorbild. Dabei geht es nicht nur um den Wunsch nach materieller Besserstellung — was bei vielen Kleinbürgerexistenzen ja gar nicht der Fall ist, sondern auch um Hoffnungen auf mehr persönliche Freiheit, nicht mehr in die Betriebshierarchie eingespannt zu sein, sich „zum Schmied des eigenen Glücks“ machen zu können. Das Kleinbürgertum verkörpert für die Arbeiterklasse die Durchlässigkeit der Klassengrenzen, die Möglichkeit des individuellen Aufstiegs. Trotz seiner Heterogenität prägt das Kleinbürgertum seine eigenen Milieus und gewinnt aus seiner Existenzweise ein Bewusstsein sozialer Zugehörigkeit — gewöhnlich definiert als Zugehörigkeit zu den sogenannten Mittelschichten.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein

Es ist kein Zufall, dass die aus dem Kleinbürgertum kommenden Vorstellungen von einer zukünftigen Gesellschaft stets vage „alternativ“ bleiben oder die Form von Utopien oder skurrilen Idealen annehmen. Für einen entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung fehlen die Machtmittel, für eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus die Gemeinsamkeit und Eindeutigkeit der Interessen dieser Schicht. Sie kann Produktion und Verteilung allenfalls stören, aber nicht — wie die Arbeiterklasse — lahmlegen. Gegenüber dem innersten Kern der Macht, dem Eigentum an den großen Produktionsmitteln, hat sie keine potenziellen Zwangsmittel. Bei Konflikten zwischen den Hauptklassen kann sie deshalb nur darüber entscheiden, ob sie eigene Interessen mit der Anlehnung an die eine oder die andere Seite verknüpft. Eine sichere Daseinsweise und eine historische Perspektive kann ihr dabei nur die Arbeiterklasse bieten. In ihrer augenblicklichen Schwäche kann diese jedoch das Kleinbürgertum nicht als Bündnispartner gewinnen.

Für die Wiedergewinnung einer eigenständigen politischen Rolle der Arbeiterklasse und die Ausprägung eines klaren Klassenbewusstseins ist der kleinbürgerliche Einfluss ein erhebliches Hindernis. Eine ihrer selbst bewusste Arbeiterklasse kann es nicht geben ohne die Zurückdrängung dieses Einflusses. Die ideologische Unterordnung unter die Bourgeoisie vermittelt sich zu einem guten Teil über das Kleinbürgertum — konkret über die SPD und die reformistischen Teile der Linkspartei, über die Partei der Grünen und über die „sozialen Bewegungen“.

Erscheinung und Wesen nicht verwechseln

Die äußerliche Angleichung (Erscheinungsbild, nivellierte Massenkultur, „Mittelstandsbewusstsein“ etc.) zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum verführt sogar auch Marxisten dazu, dies für das Wesen der Sache zu halten. Auf politischer Ebene führt dies zu Konzeptionen, die nicht mehr von klassenanalytischen Kriterien bestimmt sind, sondern selbst so vage und verschwommen sind wie die beobachteten Erscheinungsformen: „breite Bündnisse“, „gesellschaftliche Allianzen“, die Ableitung von Bündnispolitik aus Parallelen in der Ideologie (Religionen, Humanismus, Marxismus) [4].

Diese Überlegungen sind für uns aktuell so wichtig, weil sich Teile der Partei viel von den sogenannten neuen sozialen Bewegungen versprechen, in denen das Kleinbürgertum eine bedeutende Rolle spielt bzw. sogar dominiert. In Deutschland sind z. B. die Grünen ein Produkt solcher Bewegungen. An ihnen wird das für diese Schicht typische Schwanken deutlich. Entstanden als Protestpartei mit zum Teil ultralinkem Gehabe, sind sie zu einer bürgerlichen, liberalen Partei geworden, die sich hauptsächlich auf die arrivierteren Sektoren des Kleinbürgertums stützt.

Sowichtigjede kapitalismuskritische Bewegung auch ist, unsere Hauptaufgabe muss es sein, zur Wiedergewinnung einer eigenständigen, klassenbewussten Arbeiterbewegung beizutragen, zur Aktionseinheit für die gemeinsamen Arbeiterinteressen unabhängig von weltanschaulichen Unterschieden zu gelangen und darüber auch unsere Partei zu stärken. Die Partei kann in einer „Mosaik-Linken“, als eine Organisation unter vielen, ihrer Aufgabe nicht gerecht werden. Und ohne eine starke kommunistische Partei ist eine selbstbewusste und eigenständige Arbeiterbewegung, die auch auf mögliche Bündnispartner ausstrahlt, nicht möglich.

Quellen und Anmerkungen

[1] Politische Thesen, München 2010, S. 34

[2] Wirtschaftsdemokratie und Vergesellschaftung. Zu einer solidarischen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus. isw-Report Nr. 79

[3] http://de.wikipedia.org/wikiNeue_Soziale_ Bewegungen

[4] Siehe dazu Thomas Lühr, Zur Krise der Arbeiterbewegung — http://www.triller-online. de/index2.htm

Literaturempfehlung:

Lieberam — http://www.marx-engels-stiftung. de/LieberamII.pdf