Die weltweite kommunistische und revolutionäre Bewegung

Posted on 7. November 2015 von


Vorbemerkung der Redaktion
Eine Frage, die auch unser Schwerpunktthema berührt, wird international in der kommunistischen Bewegung diskutiert: Das Verhältnis von Gesetzmäßigkeiten gesellschaftlicher Entwicklung, die sich mit Hilfe des Marxismus-Leninismus beschreiben lassen und der Rolle nationaler Besonderheiten. Wir bringen in Auszügen einen übersetzten Text von Albano Nunes, Mitglied des Sekretariats des ZK unserer portugiesischen Schwesterpartei, der die Position der PCP in dieser Debatte erklärt. Ein weiterer lesenswerter Text mit einer anderen Positionierung zu dieser Frage stammt von unserer griechischen Schwesterpartei KKE. Im Rahmen dieses Heftes konnten wir ihn aus Platzgründen nicht aufnehmen. Er wird jedoch auf unserer Internetseite veröffentlicht und wir sehen beide Texte als Aufforderung an, diese Debatte konstruktiv auf breiter Basis weiter zu führen.

Aktuelle Fragen im ideologischen Kampf

anunesvon Albano Nunes, Mitglied des Sekretariats des ZK der PCP *

Die Frage des Kampfes für den Sozialismus und damit die Problematik der Etappen und Wege des revolutionären Prozesses, sowie die unverzichtbaren Überlegungen zu konkreten Situationen und nationalen Besonderheiten, gehören sicher zu den relevantesten Fragen bei der Ausarbeitung des Programms der Kommunistischen Partei. Dabei gibt es nicht nur legitime Meinungsverschiedenheiten, sondern auch schematische Vereinfachungen und Verwirrungen.

Historisch ausgedrückt leben wir in einer Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, vor fast 100 Jahren von der Oktoberrevolution eingeläutet. Aber kurz- und mittelfristig betrachtet, leben wir in Zeiten von Konterrevolution und sozialem Rückschritt.

Diese Situation beinhaltet einen Widerspruch, der die kommunistischen Parteien vor ernsthafte Herausforderungen politischer und ideologischer Natur stellt. Das betrifft vor allem die Notwendigkeit, Kämpfe für konkrete und aktuelle Ziele mit den Zielen Sozialismus und Kommunismus zu vereinbaren, unter Einbeziehung der konkreten Lage in jedem Land.

Dies ist ein dialektischer Zusammenhang (und somit kein mechanischer), der weder als unüberwindliche Barriere einzelne Etappen und taktische Momente trennt, noch verschiedene Ziele, Etappen und Phasen des gleichen Prozesses sozialer Transformation verwechselt.

Der Widerspruch zwischen den revolutionären Möglichkeiten einer historischen Epoche und der jeweiligen Situation, welche die PCP als eine Situation des Widerstands und der Sammlung von Kräften definiert, wird klarer vor dem Hintergrund sich verschärfender Grundwidersprüche des heutigen Kapitalismus.

Wenn wir einerseits die materiellen und objektiven Voraussetzungen für die sozialistische Revolution für reif erachten, und wenn es jeden Tag offensichtlicher wird, dass sich die soziale Unterstützungs-Basis des Imperialismus verengt, und dass er unfähig ist, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu antworten, ist auch der relative Rückstand des subjektiven Faktors offensichtlich: Revolutionäre Organisation und Bewusstsein der arbeitenden Massen hinken hinterher, genauso wie die kommunistische und revolutionäre Bewegung. Dazu kommt die verzögernde Macht der Institutionen, die die bürgerliche Ideologie produzieren und reproduzieren.
Im Zusammenhang mit einem intensiven ideologischen Kampf bereitet das einen fruchtbaren Boden für gegensätzliche opportunistische Umwege. Von rechts wie von „links“. Vom sozialdemokratischen Verzicht und der Anpassung an den Stand der Dinge (eine liquidationistische Tendenz, die seit dem Eurokommunismus einen neuen Aufschwung mit dem Verschwinden der Sowjetunion und dem Niedergang des Sozialismus in Europa erhielt) bis zu Erklärungen, die sozialistische Revolution sei das unmittelbare Ziel der kommunistischen Parteien, ohne Rücksicht auf die Bedingungen, unter denen sie arbeiten. Konkreten Ausdruck findet diese Realität auf der rechten Seite in der „Europäischen Linkspartei“ und einigen ihrer Mitgliedsparteien, und „links“ in den Positionen einiger kommunistischer Parteien vor, während und nach dem 15. Internationalen Treffen Kommunistischer und Arbeiterparteien, die von Dogmatismus und Sektierertum wie von einer scholastischen und versteinerten Sicht des Marxismus-Leninismus geprägt sind.

Gesetzmäßigkeiten und nationale Besonderheiten

Sicher existieren generelle Gesetzmäßigkeiten – vor allem bezüglich der Rolle der Arbeiterklasse und der Volksmassen, der Partei, der Macht und des Besitzes von Produktionsmitteln. Aber das Leben zeigt, dass die Wege von sozialer Transformation und Revolution jedes Mal sehr unterschiedlich sind. Nichts ist schlimmer für eine kommunistische Partei, für eine politische Kraft, die sich für die Vorhut der Revolution hält, als vorzugeben, mit zeitlosen Formulierungen den Kampf zu führen, die in allen Situationen gültig sind. Oder kopierte Lösungen aus einem Land, wo sie zutreffen, auf die andere Länder mit ganz anderen konkreten Situationen zu übertragen. Oder aus dem Blick zu verlieren, dass die Revolution ein lebendiger sozialer und schaffender Prozess ist und dass die sachliche Analyse konkreter Situationen die wahre Seele des Marxismus-Leninismus ist.

Das lehrt uns, die Wichtigkeit der nationalen Fragen im Prozess der sozialen Transformation und seine Wechselbeziehungen zur Klassenfrage weder zu unterschätzen noch gar zu negieren. Im Fall von Portugal, wo der besondere Umstand war, dass Portugal gleichzeitig ein kolonisierendes und kolonisiertes Land war, war diese Frage von besonderer Wichtigkeit. Die antifaschistische Revolution erlangte dadurch einen landesspezifischen Charakter, dass unter den zentralen Zielen die sofortige Anerkennung der Rechte der Kolonien auf Unabhängigkeit war, genauso wie die Befreiung Portugals vom Imperialismus. Und heute, in einer schwerwiegenden Situation der Abhängigkeit und Einmischung in innere Angelegenheiten, wo die Teilnahme am europäischen Prozess der kapitalistischen Integration ein Schlüsselelement darstellt, kämpft die PCP für eine patriotische linke Alternative, die uns den Weg in eine fortgeschrittene Demokratie öffnet, die nationale Unabhängigkeit verteidigt und sichert, und die ernsthaften Beschränkungen der nationalen Souveränität aufbricht, die, wie die Realität zeigt, tiefgehende Klassenhintergründe haben.

Der Kampf der Arbeiter und der Völker zur Verteidigung nationalen Souveränität ist eine grundsätzliche Kampffront gegen den Imperialismus im Interesse aller antiimperialistischen Klassen und Schichten, wobei sich die Arbeiterklasse in der vordersten Reihe befindet. Es ist unverständlich, dass es Parteien gibt, die seine Wichtigkeit leugnen, genauso wie die Wichtigkeit, die weltweite anti-imperialistische Front zusammen mit der kommunistischen Bewegung zu stärken.

Für die kommunistische Identität der PCP bedeutet das: Patriotismus und Internationalismus sind untrennbar verbunden.

Zum Umgang mit Meinungsverschiedenheiten

Nach Meinung der PCP – und das ist eine wichtige Meinungsverschiedenheit im Gegensatz zu Parteien, die strukturierte Formen der Zusammenarbeit und homogenisierte politisch-ideologische Standpunkte anstreben – sollten Meinungsunterschiede und Divergenzen zwischen kommunistischen Parteien sie nicht daran hindern, zusammen gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen. Auch wenn im Moment die Führung dieser oder jener Partei Eigenschaften in Zweifel zieht, die wir für grundlegend für eine kommunistische Partei halten, sollte uns das nicht an gemeinsamen oder parallelen Aktionen für die Emanzipation der Arbeiter und der Völker hindern.
Die PCP vergisst nicht die wertvollen Lehren von Álvaro Cunhal, nach denen es zwischen kommunistischen Parteien keine Probleme gibt, die man nicht durch „Dialog, freundschaftliche Debatte und gemeinsame Suche nach Lösungen“ überwinden kann, unter Beachtung der Prinzipien von Gleichheit, gegenseitigem Respekt, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, gegenseitiger Solidarität – Prinzipien, die durch die Praxis der kommunistischen Weltbewegung geschmiedet wurden.

Dies ist eine vitale Frage für die Rolle kommunistischer Parteien und für die weltweite kommunistische Idee. Schlimmer als Meinungsunterschiede und Divergenzen sind ein Bruch mit diesen Prinzipien und die öffentliche Kritik und Polemik, wozu einige Parteien bereits gegriffen haben. Das sind Neuauflagen von Versuchen, ein „Führungszentrum“ zu bilden oder die Linie dieser oder jener Partei für „anleitend“ oder „als Referenz“ zu erklären, was die Stärkung der kommunistischen Bewegung gefährdet und ihre Einheit stark gefährdet.
Vorbei sind die Zeiten von Zentralisierung und Disziplin, einstmals nötig, um mit dem Opportunismus der II. Internationale zu brechen und revolutionäre leninistische Parteien zu schmieden, wie im Fall der Kommunistischen Internationale. Die internationale Zusammenarbeit zwischen kommunistischen Parteien, deren Kern Klassensolidarität und proletarischer Internationalismus sind, wird umso stärker, je mehr sie in den Massen verwurzelt ist und je größer die Fähigkeit jeder Partei ist, autonom ihre revolutionäre Orientierung zu definieren.
Als patriotische und internationalistische Partei, ausgehend von 93 Jahren Erfahrung im Kampf und angesichts historischer Erfahrung der Kommunisten und Revolutionäre rund um den Erdball, wird die PCP weiterhin der Stärkung, Einheit und Aktionsfähigkeit der kommunistischen und revolutionären Weltbewegung verbunden bleiben. Sie wird zu Zusammenarbeit und Solidarität mit allen beitragen, dabei die Unabhängigkeit und Geschichte jeder Partei respektieren, mit dem Schwerpunkt auf Aktionseinheit, Werte, die die Kräfte vereinigen, die sich dem Kapital und imperialistischen Angriffen widersetzen. Das ist es, was die Massen von Kommunisten erwarten.

* Gekürzter und übersetzter Beitrag aus der Zeitschrift »O Militante« vom 13. März 2014 Übersetzung: Andreas Spector, Zwischenüberschriften von der Redaktion