Diskussionswürdig, aber nicht zu Ende gedacht

Posted on 28. Februar 2020 von


von Frank Braun

 

Mit ihrem Aufsatz Die Gefahr eines Weltkrieges wächst! Breite Antikriegsbewegung tut not! setzen Inge und Harald Humburg in T&P eine Diskussion fort, die dort, zögerlich zwar und lückenhaft, aber immerhin geführt wird.

Die beiden, im Folgenden H&H, wissen, dass Antikriegsbewegung hierzulande gar nicht so recht stattfindet. Dabei, so ihre Aussage, drohe nichts weniger als die Gefahr eines neuen Weltkrieges. Dies hervorgerufen durch die Konkurrenz des ökonomisch und politisch im Abstieg begriffenen führenden Hauptkriegstreiber USA und seinem wichtigsten Widersacher, der VR China. Also bedürfe es einer angemessenen Antwort von eben solcher Antikriegsbewegung.

H&H versehen ihre Analyse mit einem Katalog von Zielsetzungen aktiver Friedenspolitik (Austritt aus der NATO, strikte Neutralität, etc.) und resümieren dann am Ende: „…müssen wir der deutschen Bourgeoisie jeden der notwendigen Schritte in Richtung Frieden und zur Verteidigung unserer Lebensinteressen abringen.“  Dieser Anspruch ist korrekt formuliert, seine Ausarbeitung aber in ihrem Text erweist sich als nicht zu Ende gedacht.

 

Antikriegsbewegung braucht eine angemessene Leitlinie

 

Eine Friedensinitiative wie z.B. Abrüsten statt Aufrüsten zielt mit eher beschränktem Blick lediglich nach Innen und im Resultat zu kurz : Fast das Doppelte fürs Militär, was könnte dafür wohl alles für soziale Projekte getan werden! Gleichzeitig ist diese und sind andere Antikriegs-Kampagnen vor allem wegen ihrer Äquidistanzhaltung gegenüber allen imperialistischen Staaten auf der einen und Russland bzw. China auf der anderen Seite politisch nur sehr begrenzt wirksam. Sie verstellen den Blick auf das Wesentliche, wenn sie alles zu einem einzigen reaktionären Brei verrühren.

Sind denn etwa die herrschenden imperialistischen Klassen, sagen wir beispielhaft, der Benelux-Staaten, diejenigen, von denen Kriegefahr ausgeht? Wenn dem aber nicht so ist, welche Schlüsse müssen daraus gezogen werden? Wem nützt es, wenn z.B. die DFG-VK in diesem Sommer bei Straßenaktionen Trump und Putin parodierend einander zuprosten läßt, ohne zu berücksichtigen, wer hier Hammer und wer Amboß ist? Nicht die Russische Föderation steht vor den Grenzen der USA, sondern umgekehrt, die USA als führendes NATO-Land steht mit den anderen NATO-Mächten sehr aggressiv und mit geballter Militärmacht an der Westgrenze Russlands.

 

Von den politischen Repräsentanten der Bundesrepublik müßte all das gefordert werden, was Verbesserung der Handels- und Kulturbeziehungen speziell zur VR China und der Russischen Föderation unterstützt. Und zwar in einer Weise, die sich eben nicht den US-Sanktionen unterwirft. Diese Sanktionspolitik der USA breitet sich in der internationalen Sphäre galoppierend aus und mündet durchaus konsequent z.B. in der US-Forderung nach einem Anteil in Höhe von 2% des BIP an den Staatsausgaben der NATO-Staaten in Hinblick auf deren Rüstungshaushalt.

Die Friedensbewegung kann diese Verhältnisse nicht vor allem dadurch zum Tanzen bringen, dass sie von den bürgerlichen Regierungen verlangt. statt bei 2% dann nur bei, sagen wir, 1,6% stehen zu bleiben, sondern vor allem dadurch, dass der Sanktionspolitik gegenüber Russland und China nicht Folge geleistet und eben globale Multipolarität gefördert wird. Dies wäre dann politisch genau jene Qualität, die eine wirksame Friedensbewegung sehr gut gebrauchen könnte.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den großen Schub nationaler Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegungen, der in den 1960er bis 1980er Jahren zu verzeichnen war. Egal, wie man zur damaligen Sowjetunion oder zur VR China stand, letztgenannte waren allein kraft ihrer Existenz eine Konkurrenz zu USA und Westeuropa und andere junge Staaten konnten das für ihre Entwicklung nutzen.

Ebenso ist der „offiziellen“ Politik der Bundesrepublik vorzuwerfen, dass sie sich, wie es derzeit der Fall ist, an konfrontativen Versuchen von NATO und EU zu militärischer und wirtschaftlicher Einkreisung Russlands und Chinas beteiligt. Es reicht nicht, bloß ein Ende der Sanktionspolitik von USA und EU zu fordern. Positiv gewendet: „Frieden mit Russland“ und „Frieden mit China“ müßten dabei mindestens für KommunistInnen die geradezu obligatorische Leitlinie abgeben. Für diese Leitlinie gibt es in der Bevölkerung nachweisbar einen großen Vorrat an Verständnis und Billigung – übrigens bis hinein in das Lager der deutschen Monopolbourgeoisie, wiewohl dort natürlich mit ganz eigenen Motiven.

Leider ist von einer solch klaren Akzentuierung bei H&H nicht die Rede. Auch wenn man den Ansatz von H&H, den Friedenskampf in Deutschland auf der Basis einer materialistischen Analyse zu entwicklen, positiv würdigen muss, bleibt ihre Analyse dennoch schematisch. So verbleiben sie mit ihrem Forderungskatalog  in den Denkmustern der  Friedensbewegung der 1980er Jahre befangen und grenzen sich nicht deutlich von einer falschen aber gleichwohl weit verbreiteten Äquidistanzhaltung ab.

 

Aus der Geschichte der kommunistischen Weltbewegung lernen …

 

H&H wissen, dass KommunistInnen mindestens auf zwei herausragende Quellen von Imperialismusanalyse zurückgreifen können: Lenins Schrift Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1916) zum einen und die Dokumente des 7.Weltkongresses der Komintern (1935) auf der anderen Seite.

Auf den ersten imperialistischen Weltkrieg folgte die Oktoberrevolution, auf den zweiten folgte die Bildung eines breiten sozialistischen Lagers und die VR China startete ihre Erfolgsgeschichte als zweiter großer sozialistischer Staat. In beiden Fallen gab es in der Folge auch eine „Diversifizierung“ imperialistischer Macht, eine Reihe neuer Nationalstaaten mit eigenen materiellen und ideellen Interessenslagen sowie neue imperialistische Machtgruppen. Es gab und gibt imperialistische Staaten mit sehr aggressiven Monopolbourgeoisien und solche, die – aus historisch erklärbaren Gründen – deutlich weniger aggressiv waren und sind. Genau so, wie Lenin in der zitierten Schrift bereits von ungleichmäßiger Entwicklung sprach und daraus auch im politischen Handeln Konsequenzen ableitete.

Lenin, und noch mehr die anderen führenden KommunistInnen nach der Oktoberrevolution, mussten mit dem Umstand fertig werden, dass ein einziges Anrennen gegen die imperialistischen Mächte nicht den globalen Sozialismus herbeiführen kann. Sie mußten sich den Kopf darüber zerbrechen, wie die vielfältigen innerimperialistischen Widersprüche zu nutzen sind, wie internationale Bündnispolitik gestaltet werden kann. Lernten sie es nicht, waren sie dazu verdammt, zuzulassen, dass die soziale Revolution in den Ländern, die aus dem imperialistischen Weltsystem ausgebrochen waren, unter dem Druck der international agierenden  Kapitalistenklasse ersticken würde. Sie mussten und müssen es lernen, egal, ob es sich dabei um KommunistInnen an der Macht oder solche in der legalen oder illegalen Opposition, ob es sich um VertreterInnen von Massenparteien oder nur von kleinen und kleinsten Kollektiven handelt .

KommunistInnen müssen in der Antikriegsbewegung für eine politische Hegemonie, für die politischen Interessen der Arbeiterklasse eintreten, damit, sollte es erneut zum Krieg kommen, die herrschenden Klassen der imperialistischen Kriegsmächte um ihre Macht fürchten müssen

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es sich auch bezüglich der ökonomischen Verteilungskämpfe unter dem Motto „Klasse gegen Klasse als jeweils vorteilhaft herausstellt, wenn klar ist, welche Sanktionspolitik da im Hintergrund, sozusagen als zusätzlicher als Kostgänger, die Verteilungsmasse wegbeißt. Hätten wir gerade in den baltischen Staaten, in Polen und in der Ukraine fähige Organisationen der Arbeiterklasse, so wären diese gut beraten, wenn sie darauf hinweisen würden, daß z.B. die Energiekosten dort deswegen sehr hoch liegen, weil das US-Sanktionsregime diesen Staaten das eigene teuere Flüssiggas auflastet und die traditionellen Handelsbeziehungen zu Russland vollständig unterminiert hat. Es bleibt abzuwarten, ob nicht die Entwickung um North Stream 2, wo die US-Regierung eine Pressionspolitik mithilfe von Sanktionen versucht, ähnliche Resutate zeitigen wird.

Wer also von einer realen Weltkriegsgefahr ausgeht, muss alle Mittel und Wege nennen, die diese Gefahr bannen können. H&H nennen diese Mittel und Wege nicht, v.a. nicht im Klartext. Klar ist aber schon jetzt, dass eine Friedensbewegung scheitern wird, die auf eine Leitlinie wie „Frieden mit Russland und China verzichtet.

Konkurrenz USA vs. China ist unausweichlich, aber „It takes two to tango…“

 

H&H wollen im Widerspruch zwischen den USA und der VR China jenen Widerspruch entdeckt haben, der zu einem neuen Weltkrieg führen wird. Dabei führen sie im Wesentlichen Fakten aus der ökonomischen Sphäre an (BIP, Kapitalexportmargen, Handelsbilanz und -hegemonie,  Dominanz in Sachen internationaler Handelswege). Sie fragen nicht nach anderen möglichen Verlaufsformen sich zuspitzender Erscheinungen einer globalen kapitalistischen Krise. Sie fragen auch nicht danach, ob die Volksmassen in China weltkriegerische Attacken überhaupt mitmachen würden und auch nicht danach, ob die führende Partei in der Volksrepublik, die KPCh, so einen Weg überhaupt gehen würde. Ich glaube, ohne eine hinreichende Antwort auf diese Aspekte, kann eine Feststellung wie die von H&H, nach der Unausweichlichkeit eines Krieges zwischen den beiden Mächten, nicht überzeugen.

 

Einmal davon abgesehen, dass es sich bei der VR China in meinen Augen um einen sozialistischen Staat mit einer starken und aktiven KP an der Spitze handelt –  natürlich auch bekämpft und freilich auch durchsetzt von VertreterInnen der bürgerlichen Klasse- und auch abgesehen davon, dass diese Art Regierung einen Angriffs- oder Vernichtungskrieg gegen einen äußeren Feind kraft internen Widerstands, mindestens aber kraft interner Verweigerung wohl kaum überleben würde: Die Chinesen tun auch jetzt schon eine ganze Menge in ihren Außenbeziehungen, was kolonialen oder spätkolonialen Traditionslinien klassischer imperialistischer Mächte wie den USA nicht entspricht. Das gesamte Konzept der Neuen Seidenstrasse etwa lebt von der Einbindung lokaler Ökonomien in ein langfristiges suprakontinentales Gesamtprojekt. Dort engagierte lokale Ökonomien machen mit, weil sie in Sachen Investitionen und Revenue gute Chancen für die eigene Entwicklung erwarten können, weil sie im Fall eigener Probleme, z.B. mit krisenhaft sinkender Inlandsnachfrage. in einem größeren Handels- und Absatzmarkt dennoch Chancen auf  Fortbestehen haben können.

 

Was die Russische Föderation betrifft, so liegen dort die Dinge etwas anders, denn das gesamte russische Staatswesen und natürlich dessen ökonomische Basis ist tatsächlich in einer imperialistischen Entwicklung begriffen. In jedem Fall wäre es aber falsch anzunehmen, dass Russland derzeit nach Weltherrschaft streben könnte.  Das kann es nicht, denn dafür sind die Faktoren der ökonomischen Sphäre speziell in puncto Kapitalexport viel zu schwach entwickelt. Die Ära Jelzin, in der reichlich Tafelsilber an eine Vielzahl neoliberaler Oligarchen verscherbelt wurde und wo die staatliche Einheit stark in Frage stand, wurde ja gerade dieser Tage überhaupt erst überwunden. Und dann musste Russland auch noch große Anstrengungen unternehmen, um nicht angesichts von  Attacken des globalen Imperialismus (Zentralasien, Georgien, Ukraine) vollends zerrieben zu werden.

Aber trotz dieser Attacken läßt sich keine aggressive imperialistische Attitude der russischen Föderation herauslesen. Im Gegenteil, Russland nützt denjenigen, die ihre nationale Unabhängigkeit verteidigen müssen, nützt den bedrängten Völkern und Nationen derzeit deutlich mehr, als sein vormaliger Weg der 1990er Jahre in ein Oligarchenregime mit etwas Sozialstaatstünche zunächst erwarten ließ. Putin genießt in Russland ein hohes Ansehen als patriotische Autorität. Die Russen halten es mit großer Mehrheit für richtig, dass und wie der NATO/EU-Aggression in Georgien und der Ostukraine begegnet wurde und wird. Es ist nicht zu erkennen, dass die Putin-Administration einen Angriffs- und Vernichtungskrieg im politischen Repertoire hat. Und selbst wenn dem so wäre, würde sie ihn nicht erfolgreich führen können.

 

Die VR China und die Russische Föderation sind beide nicht Teil des Problems Gefährdung des Weltfriedens. Sie unternehmen vielerlei Friedensinitiativen (Syrien, Iran, Venezuela, Westbalkan, Verzicht auf atomaren Erstschlag etc.) und gehören damit eindeutig zur globalen Antikriegsbewegung als ein Teil der Lösung, der Sicherung des Weltfriedens. Dass H&H dies nicht aussprechen wollen, offenbart wohl das Problem vieler KommunistInnen dieser Tage: Vor lauter Abwägerei, ob dieses oder jenes gerade noch sozialistisch ist oder schon nicht mehr ganz oder noch nie war, vergisst man zielführend zu handeln. Die Analyse von H&H wird so zu einer nicht allseitigen, ja, hölzernen und seltsam unpolitischen Angelegenheit.

 

Quellen und Anmerkungen

 

Der Autor ist Mitglied im Deutschen Freidenker-Verband (DFV) und außerdem aktiv in der lokalen Initiative ‚Frieden mit Russland‘ in Hannover

 

Der Betrag nimmt Bezug auf einen Artikel Die Gefahr eines Weltkrieges wächst! Breite Antikriegsbewegung tut not! von Inge und Harald Humburg, der im November 2019 auf blog.unsere-zeit.de erschieden ist; http://blog.unsere-zeit.de/?p=2938