„Kampf gegen Rechts“ – vorgeschobene und reale Gefahren

Posted on 27. Februar 2020 von


von Klaus Linder

„Kampf gegen Rechts“ – vorgeschobene und reale Gefahren[1]

Mögen andere von ihrer Schande sprechen, ich spreche von der meinen.“ (Brecht) Ich werde vornehmlich über Deutschland reden.

 

Mein Thema heißt: „Kampf gegen Rechts“. Diese Wortprägung bezeichnet eine Legitimationsideologie des deutschen Imperialismus und der EU. Eine Gegen-Rechts-Demagogie wurde der Kriegspolitik der imperialistischsten transatlantischen Kreise angekoppelt, seit es hieß, der Krieg gegen Jugoslawien würde „wegen Auschwitz“ geführt. Die Annexion der DDR war Voraussetzung für diesen Krieg. Auch die Konterrevolution von 1990 wird heute als „gegen Rechts“ dargestellt. In Wirklichkeit bezeichnet sie den größten, und letztlich einzigen, „Rechtsruck“ der deutschen Geschichte seit dem Ende des zweiten Weltkriegs.

 

Seit der diesjährigen Jubelkampagne für die EU „gegen Rechts“ sollte deutlich sein, dass es sich um eine zentrale Leerformel zur Herrschaftssicherung handelt. Seit kurzem ist es üblich, zahlreiche innen- und außenpolitische Gegner nicht mehr „Rechtspopulisten“, sondern „Faschisten“ zu nennen. Das ist Verharmlosung des Faschismus. Einer der reaktionären Parteien, der AfD, scheint dabei die Rolle einer Bad Bank zugeschrieben, die den ehemaligen „Volksparteien“ im Konkurs noch einmal Kredit verschafft.

 

Lüge und Wahrheit der Formel „gegen Rechts“ läßt sich nur aufzeigen, wenn wir sie durch das ersetzen, was unausgesprochen dahintersteht: „Rechts“ kann nur „Faschismus“ bedeuten und „gegen Rechts“ Antifaschismus.

Faschismus und Antifaschismus

Wer über Faschismus redet, sei es als Bewegung, sei es als Herrschaftsform, muss über Imperialismus reden. Wer den Faschismus bloß für ein Sammelsurium falscher Bewusstseinsinhalte und nicht für die politische Herrschaftsform einer Klasse hält, wird ihn nicht bekämpfen. Das ist der Ausgangspunkt der marxistisch-leninistischen Theorie.

 

Demnach ist die Grundlage der imperialistischen Herrschaft das ökonomische Monopol, das nach der Errichtung auch des politischen Monopols strebt. Die Allmacht der Monopole durchdringt „mit absoluter Unvermeidlichkeit alle Gebiete des öffentlichen Lebens, ganz unabhängig von der politischen Struktur.“[2]Das ist auch die Grundlage der Faschisierung und der faschistischen Diktatur. Auch ohne Faschismus drängt die Diktatur der Monopolbourgeoisie zur Reaktion auf der ganzen, nicht nur ökonomischen Linie. Das gilt auch für die BRD heute, das gegenwärtige Zentrum der Reaktion in Europa und natürlich für die EU. Imperialistische Herrschaft geht nicht ohne innere Widersprüche vonstatten, sowohl zwischen den imperialistischen Ländern als auch innerhalb Gruppen der Bourgeoisie eines Landes. Aufgabe des Staates ist, eine imperialistische Gesamtlinie zu vermitteln und auszuführen, auch unter Opferung unmittelbarer Profitmöglichkeiten. Nicht hinter jeder Linienschwankung steht eine separate Kapitalfraktion. Es gilt, insbesondere im faschistischen Staat, der Primat des Politischen. Denn die Herausbildung der Monopole, die Jagd nach Extraprofiten, hebt die Konkurrenz nicht auf, sondern verschärft sie. Unter ihrem Gesetz steht die imperialistische Neuaufteilung der Welt, also auch die „Geopolitik“, nämlich dem Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung der imperialistischen Länder, das sie zur Austragung ihrer Widersprüche durch reine Stärke, letztlich militärisch drängen wird; das sie aber ebenso zu Allianzen und Militärbündnissen gegen ihre Konkurrenten oder nichtimperialistischen Gegner drängt. Die bedeutendste internationale Gegenkraft einer Nichtunterwerfung unter die Diktate der imperialistischen Hauptländer liegt heute in einem fortschreitenden Zusammenschluss von Russland und China, sowie anderer Länder, Parteiungen und Kräfte. Die Negierung dieser Kräfte schwächt den Antifaschismus hier, im eigenen Land.

Faschismus an der Macht

Die mit den Referaten und Diskussionen des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale 1935 vorgelegte Faschismustheorie ist eine Erweiterung der Leninschen Imperialismusanalyse. Deshalb steht Dimitroffs Referat zum Faschismus in engstem Zusammenhang zu Togliattis Referat über den imperialistischen Krieg. Sie müssen zusammen gelesen werden, denn der Kampf gegen den drohenden imperialistischen Krieg wurde als Hauptkettenglied zur Fortführung des revolutionären Weltprozesses erkannt; so steht es auch heute. Die antifaschistische Strategie ist die Einheitsfront- und Volksfrontstrategie. Die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen ist Voraussetzung und treibender Kern der Volksfront. Sie orientiert auf die Heranführung an die proletarische Demokratie, ist aber zugleich die Absage an jeden Utopismus, der irgendeinen der nötigen Zwischenschritte überspringen will. Eine auf die Interessenlagen der schwankenden Mittelschichten gegründete Bewegung ergibt keine antifaschistische Volksfront. Eine unter der Leitung der Monopolbourgeoisie geführte Mittelstands-Bewegung mag sich als Protest gebärden, bleibt aber das Gegenteil einer antifaschistischen oder antiimperialistischen Bewegung, auch wo sie mit revolutionärer Rhetorik vorgibt, „den Systemwechsel“ im Gepäck zu führen. Das ist bei einer Vielzahl sogenannter Bewegungen im gegenwärtigen Deutschland der Fall.

 

Von Dimitroff wurde auf dem VII. Weltkongreß die berühmte Faschismus-Definition vorgetragen. Sie lautet: „Der Faschismus an der Macht, Genossen, ist, wie ihn das XIII. Plenum des EKKI richtig charakterisiert hat, die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“[3]

 

Bemerkenswert ist erstens der Superlativ: Es geht um die am meisten reaktionären usw. Elemente. Das heißt: Im Faschismus ist die Diktatur der Monopolisten kein geschlossener Block, so „totalitär“ ihr Staat inklusive Propagandaapparat auch erscheint. Und es gibt Teile der Bourgeoisie, die nicht der Monopolbourgeoisie angehören. Das auszunutzen ist für die Volksfront und jede antimonopolistische Strategie wichtig. Ohne dieses Wissen und Handeln hätte es die Nelkenrevolution in Portugal nicht gegeben; auch nicht die antifaschistisch-demokratische Ordnung der DDR und nicht die mit der Volksfront erkämpften sozialen Errungenschaften der französischen Werktätigen, deren revolutionäre Verteidigung die Gelbwesten ins Leben rief. Das ist die vielschichtige Realität, so wie auch souveräner Nationalstaat und Selbstbestimmung eine sind, die für die Volksfrontstrategie in der gegenwärtigen Etappe von größter Bedeutung bleibt. Solche Realitäten als Bedingung und Rahmen des Kampfes erfassen, heißt nicht, dem eigentlichen Klassenkampf untreu werden. Das umfasst die Notwendigkeit, gegebenenfalls Bündnisse auch mit Kapitalisten zu schließen und mit Kadern ihrer Klassenmacht aus dem Militär-, Sicherheits-, und Staatsapparat. Es heißt, den Unterschied zwischen Nationalkonservativen und Faschisten erkennen zu können. Aber das Wesen solcher Bündnisse muss antimonopolistisch und antiimperialistisch sein, und zwar so eindeutig, dass die Arbeiterklasse weiß, dass darin ein Kern für ihre Interessen die Stoßrichtung des Ganzen trägt und auf die Eroberung der Macht gerichtet ist.

 

Dass wir innerhalb der Bourgeoisie zu differenzieren haben, deutet darauf hin, dass der Übergang zum Imperialismus Veränderungen im Klassengefüge brachte. Nicht nur durch Herausbildung der Finanzbourgeoisie, sondern auch der Arbeiteraristokratie, also eines Teils der Arbeiterklasse, der in gewissem Maße an den Extraprofiten der weltweiten Raubzüge beteiligt wird. Arbeiteraristokratie bedeutet nicht, dass eine nationale Arbeiterklasse als solche eine „Schmarotzerklasse“ gegenüber dem Proletariat der dritten Welt wäre. Sie bezeichnet die Spaltung der Klasse innerhalb eines imperialistischen Landes und erschwert allerdings die internationalistische Solidarität. Nur die Überwindung dieser Spaltung kann zur einer wirksamen Strategie gegen die Faschisierung führen. Für Lenin gehören im übrigen natürlich auch die Arbeitslosen zur Klasse.

 

Ein Trugschluss kann sich einstellen mit der Frage: Woran erkennt man denn die am meisten imperialistischen Kreise? Man erkennt sie daran, welche Interessen welcher Klasse diese Politik zum Ausdruck bringt. Man erkennt sie nicht an der variablen Ideologie, die ihnen als Instrument zur Überrumpelung der Massen gegen deren Interessen dient. Darum ist die Definition des Faschismus die seines Klassenwesens und nicht die seiner wechselhaften Demagogie. Faschismus ist keine Ideologie, obwohl Ideologie eine seiner gefährlichsten Waffen ist.

 

Zweitens geht aus dieser Definition hervor: Faschismus ist nicht die Macht des Kleinbürgertums, der Lumpenproletarier o.ä. Er ist ihr Feind. Die Hauptfunktion des Faschismus besteht in der gewaltsamen Unterwerfung und Niederhaltung der Arbeiterbewegung und der Arbeiterklasse. Konstante aller faschistischen Ideologien ist der Antikommunismus. Er erscheint in der heute vorherrschenden Ausprägung als „Totalitarismusdoktrin“. Durch diese kann der Antikommunismus ebenfalls als „Kampf gegen rechts“ maskiert werden. Mit weiterer Vertiefung der Widersprüche wird der Gegner die Veranstaltung als das kenntlich machen, was sie ist: Kampf gegen Links.

 

Drittens geht aus der Definition hervor: Faschismus ist die Macht der Finanzbourgeoisie (realiter in Kombination mit anderen Klassenteilen, in Deutschland damals z.B. den Junkern). Das heißt: Diktatur einer Klasse, deren soziale Basis so schmal ist, dass sie auf Bündnisse angewiesen ist. Das ist ihre Achillesferse. Sie ist, mit den Worten Dimitroffs, „eine grausame, aber keine feste Macht“.

 

Und viertens, das dürfte auch Überlegungen zum „Tiefen Staat“ betreffen : Der Faschismus ist nicht eine verselbständigte Staatsstruktur, die sowohl über dem Proletariat als auch über der Bourgeoisie stünde.[4]

 

Die Aufgabe der bürgerlichen Faschismustheorien, insbesondere in der Variante „Totalitarismusdoktrin“, ist in letzter Instanz: die Monopolmacht zu verschleiern und den Antikommunismus zum äußersten zu treiben. Damit stehen sie allerdings in der Kontinuität des Faschismus selber. Genau das ist das Problem des heute in Deutschland und der von ihm dominierten EU propagierten „Kampfes gegen Rechts“.

Faschisierende Tendenz und Vielfalt der faschistischen Herrschaftsform

Die statische Definition des bereits in die Macht eingesetzten Faschismus war nur ein Teil der Darlegung auf dem VII. Weltkongreß. Der größere galt der Frage der Übergänge und der zahlreichen Varianten, unter denen auch der deutsche Faschismus der 30er-40er Jahre nur ein Spezialfall ist.

 

Dimitroff begann sein Referat mit den Worten: „Der (VI.) Kongreß wies darauf hin, daß ‚faschistische Tendenzen und Keime einer faschistischen Bewegung in mehr oder weniger entwickelter Form fast überall zu finden sind.“[5]

 

Daraufhin wurde er konkreter, nämlich „daß vor der Errichtung der faschistischen Diktatur die bürgerlichen Regierungen in der Regel verschiedene Etappen durchlaufen und eine Reihe reaktionärer Maßnahmen durchführen, die den Machtantritt des Faschismus vorbereiten und unmittelbar fördern. Wer in diesen Vorbereitungsetappen nicht gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie und gegen den anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den Sieg des Faschismus zu verhindern, der fördert ihn vielmehr.“[6]

 

Er beharrte auf der Vielfalt an Übergängen: „Die Entwicklung des Faschismus und die faschistische Diktatur selbst nehmen in den verschiedenen Ländern verschiedene Formen an, je nach den historischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, je nach den nationalen Besonderheiten und der internationalen Stellung des betreffenden Landes. In gewissen Ländern, vor allem dort, wo der Faschismus keine breite Massenbasis besitzt und wo der Kampf zwischen den einzelnen Gruppierungen im Lager der faschistischen Bourgeoisie selbst ziemlich stark ist, entschließt er sich nicht sofort das Parlament zu liquidieren, und beläßt den anderen bürgerlichen Parteien und auch der Sozialdemokratie eine gewisse Legalität.“ [7]

 

Die berühmte Definition führt uns somit nicht auf eine in Stein gemeißelte Form, die sich hinter dem Wort „Faschismus“ verbirgt: Von Keimen, Tendenzen, vorbereitenden Etappen, Bewegungen, konkurrierenden Gruppierungen ist die Rede. Deshalb sollten wir uns nicht einreden lassen, dass die Durchleuchtung faschisierender Tendenzen und vorbereitender reaktionärer Maßnahmen eine „Inflationierung“ des F-Wortes sei; das hieße in den falschen Umkehrschluß verfallen, dass wir noch in einer intakten bürgerlichen Demokratie leben würden, aus der nur ein nicht bestimmbarer Sprung in die Diktatur führen könnte. Wir wären dann dauernde Warner vor dem Faschismus und wären zugleich faschismusblind. Diese Auffassung muß den Blick auf die inneren Tendenzen der sich seit dreißig Jahren fortfressenden Konterrevolution und die sich allseitig aufblähende Fäulnis des imperialistischen Stadiums verschleiern. Die faschisierende Tendenz innerhalb der gegenwärtigen gesellschaftlichen Bewegung zu erschließen, ist keine „Inflationierung“ des Faschismusbegriffs. Sofern der Klasseninhalt bestimmbar ist, erkennen wir vor allem eines als inflationär: den heutigen Gebrauch der Worte „Antifaschismus“ und „Antifa“.

 

Faschistische Parteien sind bürgerliche Parteien, faschistische Regierungen bürgerliche Regierungen. Faschistische Bewegungen sind immer gegen die Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums gerichtet, auch wenn ihre Demagogie das Gegenteil behauptet. Faschistische Bewegungen, Parteien, Regierungen müssen in Deutschland immer und grundsätzlich gegen das Erbe der DDR gerichtet sein. Schon diese wenigen Kriterien zeigen, dass es in der deutschen Parteien- und „Bewegungs“landschaft heute relativ schwierig sein dürfte, ein Alleinstellungsmerkmal zu entdecken, das als Indikator einer „faschistischen Reserve“ für eine von ihnen taugt. Bei allen Übergangs- und Mischformen ist jedoch stets zu beachten: „Der Machtantritt des Faschismus ist nicht ein Regierungswechsel, sondern ist die Ablösung einer Staatsform der bürgerlichen Klassenherrschaft durch die andere.“[8]

Der faschistische Staat ist kein „Doppelter Staat“

Wir hörten, dass auch in dieser Staatsform verschiedene Monopolisten miteinander konkurrieren und genötigt sind Arrangements zu treffen, auch blutige Kämpfe auszutragen, um die Diktatur über die Mehrheit aufrechtzuerhalten.

 

Häufig ist neuerdings zu hören, wir hätten es mit einer selbständigen Doppelstruktur zu tun, einem „dualen Staat“. Die Machtkämpfe in den USA seit Trumps Wahl z.B. scheinen das an der Oberfläche zu bestätigen. Es springt ins Auge, dass bei dieser Deutung die trotz Widersprüchen einheitliche Klassenbasis zu kurz kommt, da ja die Diktatur der Finanzbourgeoisie die eigentliche Tiefe dieses Staates ausmacht. Die Rede vom „dualen Staat“ geht zurück auf eine Deutung des Nazi-Staates, die Ernst Fraenkel 1941 unter dem Titel „The Dual State“ vorlegte.[9] Dies wurde einer Kritik unterzogen in dem schon 1944 vollendeten bemerkenswerten Buch „Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944“[10] des linken Sozialdemokraten Franz Neumann. Neumann führt bei seiner Analyse des „Dritten Reichs“ den Begriff des „Un-Staats“ ein, den ich hier aus Platzgründen ich nicht ausführen kann.

 

Für unser Thema möchte ich allgemeinere Schlußfolgerungen assoziieren: Staatlichkeit, die Sicherung des Normenstaats gegen jede Verschiebung zum Maßnahmenstaat, Einhaltung des Legalitätsprinzip zu verlangen, muss keineswegs ein Merkmal sogenannter autoritärer Einstellungen und eines autoritären Staates sein. Es ist irreführend die Forderung nach Recht und Ordnung mit „Law and Order“ gleichzusetzen oder gar als „rechtsaffin“ zu diffamieren; desgleichen die nach nationaler Souveränität und zwischenstaatlichen Beziehungen gemäß dem Völkerrecht. Das Legalitätsprinzip etwa ist eine Errungenschaft politischer Emanzipation. Sein Bruch wäre der Übergang zu subjektivem Recht. Wenn z.B. Regelverstöße, Gesetzesbrüche und Provokationen von Ausnahmezuständen von oben in der Absicht gefördert werden, reaktionäre Maßnahmen oder Alleingänge der Exekutive als Begehren sogenannten zivilgesellschaftlichen Protests erscheinen zu lassen, oder aber funktionierende Staatlichkeit und Gewaltenteilung zu destabilisieren und die Bevölkerung zu spalten, so sollte gerade die Erfahrung mit dem Faschismus uns davor warnen, darin eine Morgenröte des Widerstands zu erblicken. Anti-Etatismus ist keine genuin antifaschistische oder auch nur fortschrittliche Forderung. Ein Blick auf die imperialistische EU-Ideologie mit ihren vier neoliberalen Freizügigkeiten erweist schnell, dass Anti-Etatismus durch die herrschenden Klassen selber befeuert wird, ob der Neoliberalismus nun in der konservativen oder anarcholibertären Variante auftritt. Ebenso zeigen uns die „Maidane“ und „bunten Revolutionen“, dass Bewegungen, die den gezielten Regelbruch propagieren, sei es auch als „ziviler Ungehorsam“ verbrämt, die faschisierende Tendenz verstärken können, oder – Bsp. Ukraine, Honkong – offen als faschistische Stoßtruppen der internationalen Imperialisten wirken. Manipulierte „Bewegungen“, die die reaktionären Maßnahmen des Staatsmonopolistischen Kapitalismus als außerparlamentarischer Arm der Regierungen aktionistisch vortragen, können, mitsamt der kalkulierten Störung des inneren und zwischenstaatlichen Friedens, Elemente einer gesellschaftspolitischen Entwicklung zum Neumannschen Un-Staat loslassen.

Ideologie und Massenbewegung

Wer darauf besteht, die faschistischen Gefahren lägen heute in einer Wiederholung der Umstände „vor 1933“, der verabsolutiert leicht die damaligen internationalen Kräfteverhältnisse und nationalen Erscheinungsformen.

 

Der Kapp-Lüttwitz Putsch scheiterte am Widerstand der Arbeiterklasse. Auch der von Hitler und Ludendorff. Daraus „zogen die Politiker der imperialistischen deutschen Bourgeoisie die Lehre, angesichts der Stärke der organisierten Arbeiterschaft in Deutschland, künftig keinen Putschversuch mehr zuzulassen, sondern die Weimarer Republik auf kaltem Wege, ‚verfassungsmäßig‘ und ‚legal‘, zu beseitigen. Hitler schwenkte bereits 1924 auf diese Linie ein.“[11]

 

Wäre nicht mit der Arbeiterbewegung zu rechnen gewesen, hätte die herrschende Klasse nicht soviel Zeit und Geld aufwenden müssen, eine sozialimperialistische Demagogie zur Überrumpelung der Massen auszuarbeiten und eine künstliche „Nationale Arbeiterpartei“ aufzupäppeln. Im Wettbewerb der für die „legale Machtübernahme“ geeigneten Ideologien setzte sich die sogenannte völkische durch. Um sie ganz knapp zu charakterisieren, soll uns der Buchtitel des Naziautors Hans Grimm ausreichen: „Volk ohne Raum“. Als vermeintlicher Antikapitalismus hatte der Antisemitismus unter anderem die Aufgabe, den rationalen Begriff des Finanzkapitals durch den irrationalen Ausdruck „jüdisches Bankkapital“ zu ersetzen.

 

Es waren die Klassenkräfteverhältnisse, die die Monopolherren zur Schaffung einer eklektischen Massendemagogie zwangen, die auf die gegnerische Klasse austrahlen sollte. Es war der langwierigere, aber einzige Weg zur Beseitung der Demokratie und Realisierung der Kriegsziele sowie zur Ausrottung der Arbeiterorganisationen. Um es in heutiger Sprache zu sagen: keine Graswurzelbewegung, sondern Astroturfing in höchster Regie.

 

Unzulässig ist nun für Antifaschisten, die Sache auf den Kopf zu stellen und zu behaupten, das Vorhandensein sogenannter völkischer oder anderer Ideologien sei ausreichender Indikator für eine akute faschistische Bewegung auf dem Marsch an die Macht. Der widerspruchsvolle Weg an die Macht wird nicht durch Ideologie geebnet. An diesem Punkt vollzieht sich die Auf-den-Kopf-Stellung von Antifaschismus in subjektiven Idealismus: Faschismus wird mit einem Bewußtseinsinhalt verwechselt, dem ein besserer Bewußtseinsinhalt entgegenstünde. Die DDR lehrte uns hingegen, dass der ideologische Kampf gegen den Faschismus nur geführt werden kann, wenn man seine materielle Grundlage zerstört: durch die Enteignung der Naziiaktivisten, der kriegsverbrecherischen Monopolherren und Junker, durch Bodenreform und Sozialisierung der Schlüsselindustrien und Banken. Diesen Punkt müssten wir in jeder Volksfront vertreten, wenn sie eine sein soll: Die herrschende Demagogie des Pseudo-Antifaschismus beruht auf der Durchdringung mit einem System des subjektiven Idealismus, der die materiellen Grundlagen, die die der herrschenden Politik selber sind, ausblendet. Ein auf subjektiven Idealismus gegründeter „Kampf gegen Rechts“ ist somit ein Baustein zur ideologischen und organisatorischen Entwaffnung der Arbeiterklasse.

 

Sie mögen enttäuscht sein, dass ich kaum auf die neoliberale, „Kerneuropa“-, pro-NATO, pro-Aufrüstungs- und Anti-DDR-Partei AfD eingehe. Das hätte nur Sinn, wenn man auf die Rolle der anderen Parteien und „Bewegungen“ ebenfalls einginge, die ihr, entgegen dem propagierten Trugbild, keineswegs als antifaschistische Front gegenüberstehen, sondern sich dem internationalen Faschismus verbünden.

 

Was ich kurz am Beispiel AfD zeigen möchte, ist nicht ihr eigener Charakter, sondern wie in Medien etc., anstatt die übergreifende faschisierende Tendenz zu entlarven, die Grundlagen des Antifaschismus selber zerstört werden. Es entsteht eine Schein-Entlarvung leerer Zeichen, die immer nur bei ihrer eigenen vorgegebenen Setzung landet, wer a priori als Faschist zu betrachten sei und wer nicht. Der Faschismus wird damit zu einer Art „Ding an sich“, von dem niemand weiß, wie es in die Köpfe kommt.

 

Zahlreich sind die Fälle angeblicher Überführung gewisser Politiker, der „völkische Ideologie“ durch die Medien. Man konfrontiert zum Beispiel mit Aussagen, wo einer das Wort „Lebensraum“ benutzt; oder „eine Wende unserer Erinnerungskultur um 180 Grad“ fordert – um dann das F.-Wort anzuwenden. Sie verstehen, dass ich hier weder die Zeichen noch das Bezeichnete verteidige. Aber was würde echte Entlarvung bedeuten?

 

Käme heraus, dass sich hinter „Lebensraum“ die Osteuropakonzepte zweier imperialistischer Weltkriege verbergen – dann muss hinzugefügt werden, dass eben diese gleich nach 1990 bei den Ministern Kinkel, Scholz etc. auferstanden – ohne Anklänge an völkische Ideologie vorgetragen und den Bedingungen der NATO angepasst. Eine Konsequenz ist die neue Ostfront vor der russischen Westgrenze und im Baltikum.

 

Will man „Wende der Erinnerungskultur“ entlarven, ist zu sagen, wie sie gerade durch die Regierenden ins Werk gesetzt wird: Nämlich in der schändlichen Resolution des EU-Parlaments vom 19. September, wonach Rußland als ein Verursacher des Zweiten Weltkriegs zu betrachten und weitere antikommunistische Verbote durchzusetzen seien – eine verordnete „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Goebbelssche Propaganda wird den europäischen Völkern als Staatsräson aufgedrängt – von all jenen, die angeblich „gegen Rechts“ kämpfen, indem sie bloße Wörter auf den Index setzen.

 

Will man aufweisen, dass einer die Beseitigung der Demokratie im Schilde führt – ist darauf hinzuweisen, dass die Truppen der „bunten Revolution“ dasselbe tun, dass etwa zahlreiche Organe der sogenannten Klimabewegung in eindeutigen öffentlichen Äußerungen über die Unvereinbarkeit von Demokratie und „Nachhaltigkeit“ weitreichende antidemokratische Panikmache schüren – nur, dass sie das „unvölkisch“ als „Transformation der Demokratie“ bezeichnen.

 

Die offizielle Demagogie der EU-Herrschaft lautet heute eben nicht „Volk ohne Raum“, sondern „Raum ohne Volk“. Dass es einzig „völkische Ideologie“ sei, die hier als Gegner in Frage kommt, ist unglaubhaft. Mit derselben pseudo-sprachkritischen Methodik wurde zuvor Sahra Wagenknecht niedergemacht, weil man ihre Auffassung von antimonopolistischer Strategie kurzerhand zum „National-Sozialismus“ und „Wagenknecht-Rassismus“ erklärte; mit linkem Applaus.

Erst wenn das alles zusammengedacht wird, erhalten wir Anhaltspunkte des übergreifenden Charakters der faschisierenden Tendenz für den Aufbau einer antifaschistischen Strategie und einer Volksfront. Was man uns stattdessen bietet, ist subjektivistischer, fiktiver Antifaschismus der Eliten, die ihrerseits auf eine Verschiebung vom Normenstaat zum Maßnahmenstaat drängen.

 

Ohne Massenbasis wäre es dem historischen deutschen Faschismus also nicht möglich gewesen, den Übergang an die Macht zu vollziehen. Aber nicht die Millionen kleinbürgerlicher Naziwähler bestimmten den Klassencharakter auch dieses Übergangs, sondern die Finanzierung durch die Monopolherren. Und noch ein Faktor kam hinzu: „Ihr Kampf hatte schließlich Erfolg, weil im Grunde genommen die Führer aller bürgerlichen Parteien der gleichen Auffassung waren und auf einen Abbau der parlamentarischen Demokratie hinarbeiteten, was sie folgerichtig zur Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 führte.“[12] Darüber hinaus erweisen alle Erfahrungen mit tatsächlichen Volksfronten, dass das Kleinbürgertum kein unveränderliches Reservoir des Faschismus ist. Halten wir fest: Eine künstliche Massenbewegung ergibt noch kein faschistisches Subjekt.

 

Fazit

Während die DDR die antifaschistisch-demokratische Ordnung aufbaute, wurden im westdeutschen Separatstaat die Grundlagen von imperialistischer Herrschaft und Militarismus gerettet. Die Politik der imperialistischen Besatzungsmächte verfolgte das Ziel „den deutschen Imperialismus als Konkurrenten auszuschalten, aber der imperialistischen Welt sein Potential zu erhalten.“[13] Die westdeutsche Großbourgeoisie unter USA-Hegemonie hatte verstanden, dass sie ihre Ziele nur sehr langfristig im Schoße eines imperialistischen Paktsystems würde verwirklichen können, zu dem die „europäische Integration“ unter westdeutscher Hegemonie kam. Diese Ziele scheinen heute verwirklicht.

 

Doch statt der propagierten Friedensordnung sieht die Lage so aus: völkerrechtswidrige Kriege, Vorbereitung weiterer Kriege und NATO-Ostfront; eine verheerende Weltwirtschafts- und allgemeine Krise; dramatischer Fall der Profitraten bei brutaler Umverteilung von unten nach oben; unaufhaltsame zentrifugale Tendenzen der EU; Niedergang der Zentralmacht USA und, seit Trump, erfreuliche Irritationen der transatlantischen Beziehungen. Eine tiefe Spaltung Deutschlands als Ergebnis der vollzogenen Konterrevolution. Die unlöslichen Widersprüche von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften sollen aktuell durch das Flickwerk eines Green New Deal überbückt werden, ein Ausplünderungsprogramm sondergleichen.

 

Gleichzeitig gelingt es der deutschen formierten Gesellschaft, sogar den Protest auf der Straße unter ihre Agenda zu stellen und damit den Linksradikalismus einzubinden. Der Linksradikalismus scheint eine der verlässlichen Stützen des Merkelregimes geworden zu sein.

 

Mehr denn je braucht die Großbourgeoisie eine „Gemeinwohl-Ideologie“, die analog zur Nazilosung „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ arbeitet und Klassenkampfziele neutralisiert und zur Klientelpolitik herabdrückt.

 

Das Experimentieren mit einer solchen Ideologie wird aktuell als unauflöslicher Dreiklang geführt. Seine Bestandteile sind:

  1. Die imperialistisch gewendete Klimapropaganda, um reaktionäre Maßnahmen durchzusetzen, für deren Aufschub angeblich keine Zeit mehr bleibt.
    2. Übergreifend: Die imperialistisch gewendete „Gegen-Rechts“Propaganda zur moralischen Stützung des Regimes.
  2. Die imperialisisch gewendete „supranationale“ „Grenzen auf – Nieder mit dem Nationalstaat“ Propaganda zur Spaltung der Bevölkerung und unterdrückten Klassen.

„Wozu brauchen sie den Faschismus?“ fragte der VII. Weltkongreß. Dimitroffs Antwort: Zur Durchführung ihrer Kriegspolitik und zur Abwälzung der vollen Krisenlasten auf breiteste Bevölkerungsschichten. In welche Richtungen müssen wir heute blicken, um ihn zu verhindern?

 

Ich möchte mit einem Hinweis Kurt Gossweilers von 1973 schließen: „Es ist dem Imperialismus nach dem zweiten Weltkrieg allerdings noch nirgends gelungen, eine faschistische Massenbasis, wie in den dreißiger Jahren in Deutschland, zu schaffen.“   „Gegenwärtig geht die Hauptgefahr für die demokratischen Rechte der Massen und für den bürgerlichen Parlamentarismus in den imperialistischen Hauptländern nicht von den dort vorhandenen faschistischen Organisationen aus, sondern von den Hauptparteien der imperialistischen Bourgeoisie (…), von den reaktionären Regierungen und den imperialistischen Militärkoalitionen, insbesondere von der NATO. Das Beispiel Griechenland hat demonstriert, daß beim Ausbleiben einer faschistischen Massenbasis die NATO an deren Stelle treten kann, um zu helfen, in einem als strategisch wichtig angesehenen Lande eine faschistische Diktatur gegen das Volk in den Sattel zu heben.“[14]

 

Diese Richtung sollten wir unter den fortbestehenden hegemonialen Verhältnissen im Auge haben.
Hüten wir uns also vor Einseitigkeiten, die das Blickfeld verengen.
Hüten wir uns vor:

einseitiger Fixierung auf den Faschismus an der Macht
einseitiger Fixierung auf den Faschismus als Ideologie
einseitiger Fixierung auf den Faschismus als Massenbewegung
einseitiger Fixierung auf den historischen Nazifaschismus.

Und jagen wir die „Totalitarismustheorie“ zum Teufel!

 

 

Quellen und Anmerkungen

[1] Vortrag auf der Konferenz „Der tiefe Staat – oder: Wer regiert den Westen?“ des Deutschen Freidenker-Verbands in Stuttgart am 16. November 2019; der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors; der Text des Vortrags wurde von der Redaktion leicht gekürzt.

[2] LW22, 241.

[3] Dimitroff in: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunisten im Kampf für die Volksfront gegen Krieg und Faschismus. VII Kongress der Kommunistischen Inernationale, Dietz Verlag Berlin 1957, S.85

[4] A.a.O. S. 87.

[5] A.a.O. S. 85.

[6] A.a.O. S. 89.

[7] A.a.O. S. 88.

[8] A.a.O. S. 88.

[9] Ernst Fraenkel 1941, The Dual State; deutsche Ausgabe Der Doppelstaat, F.a.M. 1974.

[10] Franz L. Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Fischer Taschenbuch; 5. Auflage, 1984.

[11] Kurt Gossweiler, Aufsätze zum Faschismus, Akademie Verlag Berlin 1986.

[12] A.a.O.

[13] Imperialismus und Weltanschauung, Dietz Berlin 1966, S. 29.

[14] Gossweiler, A.a.O. S. 339f.