Anmerkungen zur Debatte um #aufstehen

Posted on 28. Februar 2020 von


von Jann Meier

Anmerkungen zur Debatte um die Einschätzung der Bewegung #aufstehen

Replik auf K. Baumann (in T&P Heft 47) und auf Th. Lurchi et al. (in T&P Heft 46)[1]

 

Der springende Punkt für die Bewertung jeglicher politischer Bewegungen ist die Frage, ob es sich ihrem politischen Inhalt nach um eine demokratische Bewegung handelt. Der Begriff „demokratisch“ soll hier, im Anschluss an Reinhard Opitz, definiert werden als die Übereinstimmung einer politischen Forderung, Bewegung oder Partei mit den objektiven Interessen der Lohnabhängigen.[2] Letztendlich ist das der springende Punkt für die Bewertung jeglicher politischer Bewegung und genau hieran entfachte sich letztlich auch der Streit um die Bewertung der Bewegung #aufstehen in T&P. Das ist nicht weiter verwunderlich, da es sich dabei, erstens, um eine neue Bewegung handelt und sie, zweitens, nicht einheitlich ist.

Wenn hier jetzt vielleicht etwas zu lange nach dem Hype nochmal die Frage nach der Bewertung der Bewegung #aufstehen gestellt wird – obwohl sie heute bei weitem nicht mehr die politische Bedeutung hat, die ihr zum Zeitpunkt ihrer Gründung zumindest von einigen Genossen zugerechnet wurde -, dann dient dies vor allem zu einer grundsätzlichen Diskussion darum, wie wir als Kommunisten auch in Zukunft den Charakter von sozialen Bewegungen und unser Verhältnis zu ihnen bestimmen sollten.

Die Bewegung #aufstehen…

Der Hauptfehler von Kurt war es, #aufstehen mit Erscheinungen wie #unteilbar auf eine Stufe zu stellen und sie gleichermaßen als, zwar verschiedene, Varianten sozialliberaler Integration einzuschätzen. Was für #unteilbar zwar zutraf, galt für #aufstehen nicht ohne Weiteres. Um das festzustellen, reichte ein Blick in den Gründungsaufruf, für den sehr weitgehend eine „Übereinstimmung der politischen Forderungen mit den objektiven Interessen der Lohnabhängigen“ festgestellt werden kann: Außenpolitisch gibt es bei #aufstehen eine klare Absage an antirussische Hetze, Aufrüstung und Kriegspolitik sowie die Benennung von Krieg als Fluchtursache und damit einhergehend die richtige praktische Orientierung auf die Ostermärsche und die Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“. All das fehlte, wenig überraschend, bei #unteilbar, woraus leicht geschlossen werden kann, wer da auf Linie des Monopolkapitals war und wer nicht. Noch deutlicher wird die Sache an den Positionen von #unteilbar zur EU, dem zentralen Projekt des deutschen Imperialismus, das von der Bewegung letztlich verteidigt wurde.[3] Sozialpolitisch liegt die Sache ähnlich: Während sich #unteilbar lediglich zu einer Erwähnung des allgemeinen Sozialabbaus durchringen konnte, der allerdings keinerlei konkrete Forderung folgte, ist gerade das, wie Thomas, Johannes und Seta richtigerweise betonen, eine der Stärken bei #aufstehen.

Genauso wichtig ist die sich daraus ergebende Orientierung auf eine kämpferische Perspektive, die Druck auf die Regierung aufbauen will, als potentiell wirksame antifaschistische Strategie. Von „Aufstehen gegen Rassismus (AgR) bis #unteilbar und vergleichbaren Bündnissen, die es bis heute in nahezu jeder Stadt gibt, wird ausschließlich auf eine moralische Verurteilung des dummen Volkes gesetzt, das sich – von der Gesellschaft abgehängt fühlend, in die Fänge der Faschisten begibt. #wirsindmehr hätte eigentlich #ihrseidunsegal heißen müssen.

Eine wirksame antifaschistische Strategie ist hingegen vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie die nicht-monopolistischen Schichten für ihre eigenen Interessen mobilisiert und so gegen die Demagogie der Faschisten immunisiert. Eben deshalb sagte Dimitroff auf dem 7. Weltkongress: „Die Kommunistische Internationale stellt für die Aktionseinheit keinerlei Bedingungen, mit Ausnahme einer einzigen, elementaren, für alle Arbeiter annehmbaren Bedingung, und zwar, daß die Aktionseinheit sich gegen den Faschismus, gegen die Offensive des Kapitals, gegen die Kriegsgefahr, gegen den Klassenfeind richtet. Das ist unsere Bedingung.“[4]

Auf heute übertragen, etwas vereinfacht und konkretisiert, könnten die Bedingungen vielleicht lauten: Gegen die Kriege von NATO und EU und ihre Hochrüstungspläne, gegen die Agenda 2010 und die Verarmungspolitik der Bundesregierung, gegen die Reichen und Superreichen, gegen die Polizeigesetze und alle Formen des Abbaus demokratischer Rechte. Wie sich jemand zu diesen Bedingungen stellt, wäre unser Kriterium für die Aktionseinheit und dass sich dies bei AgR, #unteilbar und #wirsindmehr anders verhält als bei #aufstehen, ist genau der qualitative Unterschied, den Kurt nicht sehen will.

Kurt betont dagegen ausschließlich den integrativen Charakter. Der Fehler liegt aber in der Absolutheit dieser Sichtweise. Letztendlich wirft der Beitrag die Frage auf, ob es nach Meinung des Autors außerhalb der KP überhaupt eine nicht-integrative politische Bewegung geben kann.

… und ihre Widersprüchlichkeit

Es reichte jedoch schon damals, zur Hochphase des Hypes nicht, #aufstehen ausschließlich anhand des Gründungsaufrufs zu beurteilen. Die Online-Unterstützung von vielen Zehntausenden mag ein Indiz für in der Bevölkerung vorhandene Zustimmung zu einer echten Opposition gewesen sein, eine wirkliche Bewegung war das jedoch noch nicht und ist es auch bis heute kaum geworden – über die Gründe dafür mögen sich andere an anderer Stelle auslassen. So richtig Thomas, Johannes und Seta die demokratische Tendenz der Bewegung beschrieben haben, so wenig scheinen sie aber die gleichzeitigen sozialliberalen Integrationstendenzen gesehen zu haben, die, darin ist Kurt zuzustimmen, durchaus angelegt waren und bis heute noch sind. Schon die damalige Besetzung der Führung und die Veröffentlichung der Präambel eines „Regierungsprogramms“ machten deutlich: Hier wird ganz massiv an der Perspektive einer rot-rot-grünen Bundesregierung gearbeitet. Und auch seit wann die „klassische“ Sozialdemokratie „die nicht-monopolistischen Schichten für ihre Interessen und gegen das Monopolkapital“ mobilisiere, bleibt ein Geheimnis der Genossin und der Genossen.

Hier werden auf gefährliche Art und Weise „Schein und Sein“ verwechselt und zwar an einem zentralen Punkt, an dem sich zeigt, ob es sich um Integration – klassischerweise durch die sozialliberale Sozialdemokratie – handelt oder eben nicht. Und genau hier bleibt die Position von Sahra Wagenknecht ambivalent. Ihr politisches Programm ist das illusorische „Zurück“ in den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat, wenn auch mit richtigen, potentiell antimonopolistischen Reformforderungen. Offen bleibt dabei aber der Weg: Regierungsbeteiligung oder Klassenkampf?

Vieles deutet bei ihr – und damit auch von Anfang an bei #aufstehen – auf Ersteres hin: Wagenknecht propagierte schon lange eher eine (paternalistische, stellvertreterische) „vernünftige Politik für die einkommensschwachen Schichten“ statt einer Politik der „einkommensschwachen Schichten“ für sich selbst (vulgo: Klassenkampf). Das wird noch verstärkt dadurch, dass sowohl Wagenknecht als auch #aufstehen fast jeglicher Bezug zu den betrieblichen Auseinandersetzungen fehlt.

Auch die tendenziell richtige Linie für den antifaschistischen Kampf, wie sie Thomas, Johannes und Seta für #aufstehen erkennen, gibt es bei Wagenknecht nicht. Während #aufstehen die Migrationsdebatte wohltuend auf die soziale Frage zurückführt, entgleiste Wagenknecht ihrerseits immer wieder:

  • „Neben der unkontrollierten Grenzöffnung ist da die kaputtgesparte Polizei, die weder personell noch technisch so ausgestattet ist, wie es der Gefahrenlage angemessen ist“.
  • „dass über eine gewisse Zeit eine Grenzsituation zugelassen wurde, wo wir noch nicht mal wussten, wer ins Land kommt. Natürlich ist das ein Problem. Die Zahl der Gefährder hat sich in der Zeit mehr als verdoppelt. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Das sind die Zahlen des Innenministeriums.“[5]

Sowas sind eben keine „taktisch klugen“ Versuche, der AfD ihre Anhänger abspenstig zu machen und auch keine internationalistischen Positionen, sondern gerade ein Abgehen von der wirksamen antifaschistischen Strategie wie sie oben beschrieben wurde. Man kann schlechte Arbeitsbedingungen von Polizisten thematisieren oder den (meist nur gefühlte) Zunahme von Straftaten. Diese Themen nicht den Faschisten zu überlassen, wäre klug. Wagenknecht drückt aber etwas anderes aus: Sie rückt die eine (von den Rechten erfundene) unkontrollierte Grenzöffnung in einen Zusammenhang mit einer nicht näher beschriebenen Gefahrenlage, der gegenüber die Polizei dann als hilflos erscheint – es geht hier also nicht um bessere Arbeitsbedingungen von Polizisten. Das gleiche Schema im zweiten Zitat: Die mit den neuen Polizeigesetzen neu eingeführte Kategorie „Gefährder“, die selbst mit bürgerlich-demokratischen Rechtsvorstellungen kaum vereinbar ist, u.a. weil sie keine klare Rechtsgrundlage hat und es daher im Ermessen von Polizei und Geheimdiensten liegt, wer Gefährder ist und damit auch wie viele (!) es davon gibt und deren Anstieg daher nichts aussagt – gerade diese Kategorie rückt Wagenknecht in den Kontext einer vermeintlich unkontrollierten Migration. Das ist „Wasser auf die Mühlen“ anstelle eines „Wasser-Abgrabens“.

Es gibt einen Unterschied zwischen der richtigen Feststellung, dass der brain drain durch die Flucht von Fachkräften den Herkunftsländern natürlich schadet und der falschen Schlussfolgerung, dass deswegen die Kritik an der Migration etwas Fortschrittliches sei. Das ist sie nur, wenn sie immer mit der Benennung des Imperialismus als Fluchtursache einhergeht – ohne dies ist sie reaktionär. So wird aus der Kritik der Migration schnell die Kritik am Migranten.

Wir hatten in der DKP stattdessen mal die richtige Losung „Unsere Willkommenskultur – gemeinsam kämpfen“ aufgestellt. Genau darauf hatte zumindest Wagenknecht nicht orientiert. Sie setzte stattdessen auf die Spaltung der Klasse, in der trügerischen Hoffnung, dass die richtig erkannte und ernst genommene Verschärfung der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, bei KiTas, Sozialleistungen etc. mit einer (vom bürgerlichen Staat organisierten) Begrenzung der Arbeitsmigration beizukommen sei. Das ist eben nicht „zusammen kämpfen“, und sei es auch nur für unmittelbare Reformforderungen, sondern die Bitte um Stellvertretung durch einen klassenneutral vorgestellten Staat.

Unsere Aufgaben

Kurt stellt gegen Ende seines Beitrags richtig fest: „Es geht den allermeisten sicher aufrichtig um Frieden und sozialen Fortschritt. Aber wenn sie nicht lernen zu kämpfen, wenn sie nicht lernen, sich zu organisieren und auch weltanschaulich den Gegner zu erkennen, werden sie keine Instrumente erhalten, sich ein besseres Leben zu erkämpfen. Das alles kann nur die kommunistische Partei in den Kämpfen vermitteln.“ Denn Integration oder kämpferische Orientierung schließen sich zwar in ihrer reinen, abstrakten Form aus, praktisch existieren sie jedoch miteinander – als widersprüchliche bewusstseinsmäßige Verarbeitung der Angriffe des Kapitals. Das trifft auch auf die Bewegung #aufstehen zu (bzw. auf das, was von ihr übrig geblieben ist). Unsere Aufgabe wäre es gewesen, der Linie der „kämpferischen Orientierung“ zur Hegemonie zu verhelfen. Das wäre dann vielleicht ein Schritt in Richtung kommunistischer Partei als eigenständiger Faktor.

 

Quellen und Anmerkungen

[1] Thomas Lurchi, Johannes Magel, Seta Radin: Sag mir, wo du stehst. In: T&P Heft 46 – September 2018; Kurt Baumann: Falsche Alternativen: #aufstehen und #unteilbar. In: T&P Heft 47 – Februar 2019.

[2] Vgl. R. Opitz: Der deutsche Sozialliberalismus 1917-1933, Köln 1973, S. 245.

[3] Vgl. https://www.unteilbar.org/europa/ .

[4] G. Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgabe der Kommunistischen Internationale im Kampfe für die Einheit der Arbeiterklasse gegen Faschismus. In: Ders.: Arbeiterklasse gegen Faschismus. VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale. München 1972, S. 32.

[5] Siehe Stern 2/2017 und Morgenmagazin, ZDF, 05.01.2017, jeweils zit.n.: Knut Mellenthin: Politik der Vereinfachung. jW vom 08.04.2019. Mellenthins allgemeiner Standpunkt und Schlussfolgerungen sind insgesamt leider ziemlicher Unsinn.